die sache ist: Flieger schlägt Unterseeboot
In pazifistischer Absicht: Der neutönende Komponist Arnold Schönberg entwickelt nach dem Ersten Weltkrieg eine bis heute obskure Schach-Variante. Daran wird jetzt in Hamburg erinnert
„Es ist wirklich etwas sehr Besonderes.“ Der das sagt, Volker Ahmels, ist dazu vielleicht gleich doppelt berufen: Der Hamburger ist Pianist, war aber auch mal sehr aussichtsreicher Schachspieler, „Deutscher Meister für die unter 15-Jährigen, also eine Art Jugend-Nationalspieler“, erzählt er. Mit seinem Verein war er auch „mal in der Bundesliga“. Seine beiden Leidenschaften kreuzen sich in, eben, jener so besonderen Sache: einem Schachspiel, konzipiert vom Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951).
Was wirken mag wie eine bloße Kuriosität, verdankt sich mehreren biografischen Umständen. So war Schönberg zwar in der Hauptsache Komponist, aber nicht nur: „Er hat unter anderem eine Noten-Schreibmaschine erfunden und Möbel designt“, erzählt Volker Ahmels. „Er war ja auch ein wirklich anerkannter bildender Künstler.“ Weiter spielte in Schönbergs Leben, auch in seiner unmittelbaren Umgebung, Schach eine große Rolle: „Ich weiß von seinem Sohn“, erzählt Ahmels, „dass es in der Familie immer eine Faszination und Begeisterung für das Spiel gab, auch wenn sie selbst alle nicht sonderlich starke Spieler waren.“ Welcher Weg führt aber von solcher Begeisterung für das mindestens seit dem 13. Jahrhundert in Europa bekannte, gern als „königlich“ betitelte Strategiespiel zu dem Impuls, es verändern zu wollen?
Es waren seine Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg, die der zweimal eingezogene Reserveoffizier und Militärkapellmusiker zu verarbeiten suchte – unter anderem in Form eines ganz ausdrücklich pazifistischen Schachspiels. Sein „Koalitionsschach“ nämlich ändert das zentrale Spielprinzip insofern, als es erforderlich macht, Bündnisse zu schmieden – schon weil die vier Farben Schwarz, Gelb, Rot und Grün mit unterschiedlich vielen Figuren antreten. Gelb und Schwarz, zehn Figuren, werden in Spielanleitungen als „Großmächte“ bezeichnet und haben einen König; Rot und Grün dagegen, „Kleinmächte“ mit nur sechs Figuren, haben keinen.
Es verbünden sich je eine Groß- und eine Kleinmacht, mindestens einige sich daraus ergebende Farbkombinationen könnten wir auch aus den derzeitigen Abendnachrichten kennen; dass Gelb stets den ersten Zug machen darf, könnte das Spiel zum Zeitvertreib für demnächst von allerlei Aufgaben befreiten Freidemokraten machen, wer weiß. Alternativ können die Kleinmächte sich auch früh für Neutralität entscheiden, aber das führt zu einer eher kurzen Partie.
Schon um das Spiel in vier Richtungen zu ermöglichen, erweiterte Schönberg das Brett: Statt acht mal acht sind es bei ihm zehn mal zehn Felder. Von besonderer Schönheit sind aber vielleicht die Figuren, die er teils hinzuerfand, teils aus dem traditionellen vormodernen Bezugssystem – Turm und Pferd beziehungsweise Springer erzählen ja von ganz anderen Zeiten – in die seinerzeit nahe Gegenwart holte: Bei Schönberg gibt es als Neuerungen etwa den „Flieger“, das „Unterseeboot“ und das „Maschinengewehr“; aus der Dame ist der „Tank“ geworden, der Panzer; die „Artillerie“ entspricht dem Turm, der Läufer ist nun ein „Radfahrer“.
Showmatch, Vortrag, Ausstellung und Konzert „Arnold Schönberg, Schach und Musik“:
Do, 20. 2., 17 Uhr, Gelehrtenschule des Johanneums, Hamburg; Eintritt frei; Infos: t1p.de/lzvmz
Bösartige Beobachtende mögen eine Verwandtschaft erkennen zu Schönbergs musikalischer Innovation, dem Zwölftonsystem, jedenfalls stellte sich bald heraus, dass das, was konzeptmäßig überzeugen mag, nicht unbedingt auch praktikabel ist – nicht mal bei Schönbergs ist das Koalitionsspiel sonderlich oft gespielt worden. Denn als spielbar gilt es eigentlich erst, nachdem sehr viel später das Regelwerk modifiziert worden war – unter anderem von Volker Ahmels. Der bemüht sich seit Jahren um die Popularisierung des, wie er betont, Spaß bringenden Spiels: „Wenn es uns gelingen würde, wirklich prominente Großmeister dafür zu begeistern, ich sage mal: Magnus Carlsen oder so …“ Alexander Diehl
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