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die ortsbegehungRolltreppen, die auf eine Zukunft warten

Zwei leer stehende Kaufhäuser und eine kränkelnde Fußgängerzone in Nürnbergs Innenstadt sollen mit Ideen aus der Bevölkerung wieder belebt werden

Warten auf eine Zukunft: Kaufhäuser in Nürnberg Illustration: Jeong Hwa Min

Aus Nürnberg Jo Seuß

Nürnberg kann richtig hässlich sein. Aktuell besonders in der Pfannenschmiedsgasse. 1950 eröffnete hier in der Altstadt mit dem Kaufhof das erste Warenhaus nach dem Krieg, 1956 folgte gegenüber das Pendant von Hertie. Der Rubel rollte. So lag es nahe, die Fläche zwischen den beiden Kaufhäusern inklusive der angrenzenden Breiten Gasse 1966 zur ersten Fußgängerzone der Stadt zu machen.

Jahrzehntelang war die zen­trale Einkaufsmeile eine Erfolgsgeschichte. Doch wie ein Krebsgeschwür hat sich die Krise des innerstädtischen Handels hier manifestiert. Im City Point, der 1999 den Hertie-Komplex ersetzte, gingen schon 2019 die Lichter aus. Beim Blick durch die Schaufenster sieht man Bauschutt, teils in Säcken, der seit Längerem auf den Abtransport wartet. Im Juni 2023 folgte die Schließung des Kaufhofs, befeuert von Coronapandemie und Onlineshopping. Im November meldete der Eigentümer, die ­Signa Holding des österreichischen Immobilienspekulanten René Benko, Insolvenz an. Ein Trauerspiel!

Da der Insolvenzverwalter sich wenig kooperativ zeigte, ging die Stadt im Juli 2024 in die Offensive und kaufte die Kaufhof- Immobilie mit 15.000 Quadratmetern Nutzfläche. Ein wegweisender Schritt, der mindestens 30 Millionen Euro gekostet haben soll. Der Vorstoß der Stadt bewegte jedenfalls die Versicherungskammer, nach eigener Auskunft der größte öffentliche Versicherer Deutschlands, dazu, im Dezember 2024 die City-Point-Immobilie zu erwerben. Nach schlechten Erfahrungen mit Projektentwicklern etwa beim Quelle-Versandhaus im Westen oder beim Kaufhaus Schocken in der Südstadt entschied sich die Stadt Nürnberg dafür, gemeinsam mit der Versicherungskammer ein Konzept für beide Häuser zu entwickeln.

Ein zentraler Punkt ist dabei die Beteiligung der Bevölkerung. Vor Ort und online gab es bis zum 27. Januar die Gelegenheit, Vorschläge einzuspeisen. 750 Interessierte quer durch alle Altersklassen kamen allein zum zweiten Termin im Januar. Das Ideenspektrum reicht von einer bunten Markthalle wie in Helsinki über einen Indoor-Skaterpark mit Kletterbereich bis zu einem Kongresszentrum und Veranstaltungsräumen für Kunst und Kultur. Ein Dachcafé mit Panoramablick über die Altstadt steht ziemlich weit oben auf der Wunschliste.

Transformation zum Kulturort

Unter dem Motto „Zukunftsmusik“ befeuert das Projektbüro, das im kommunalen Kulturreferat ansässig ist, die Transformation des Kaufhofs, der seit Ende 2023 unter Denkmalschutz steht, zu einem Kulturort. Erste Ergebnisse sind in Vitrinen und an der Fassade zu sehen. Vertreten sind dort neben einheimischen Künst­ler:in­nen auch Kreative aus anderen Teilen Deutschlands, ein fast millionenschwerer Topf aus Städtebaufördermitteln macht’s möglich.

So hat das Kollektiv raumlaborberlin als markantes Zeichen im September 2024 einen zwölf Meter hohen „Förderturm“ aufgestellt: eine Stahlrohrkonstruktion, die im März das dritte Mal ihre Außenverkleidung verändern wird und temporär zum Besteigen und Ideenaustausch einlädt. Kollektivmitglied Fran­ces­co Apuzzo hebt den „Pioniercharakter“ des Nürnberger Ansatzes zur Aufwertung des Altstadtquartiers hervor: „Man weiß nicht, wohin sich die Reise entwickelt“, kommentiert er den Prozess.

Detektivraum unterm Dach

Ihre Visionen für das Innere des Kaufhofs werden die Berliner demnächst verstärkt einspeisen. Man darf gespannt sein, denn obwohl die Waren verschwunden sind, begegnet man den Spuren des Kaufhauses noch zur Genüge: Die Anprobe für Unterwäsche im Erdgeschoss ist noch da, die bräunliche Laufbahn zum Schuhtest im zweiten Stock oder auch der Detektivraum unterm Dach.

Nix wie hin

Die Besonderheit

Zentraler geht ein Projekt in Nürnberg fast nicht. Und die Aussicht vom Kaufhof-Dach über die Altstadt mit der Kaiserburg und der Lorenzkirche ist phänomenal. Mit dem Mut zu einem speziellen Nutzungsmix in den Ex-Kaufhäusern kann Nürnberg überregional Aufsehen erregen – oder scheitern.

Das Zielpublikum

Ziemlich groß, quer durch die Schichten. Die „Zukunfts­musik“-Reihe wird weitergeführt, so läuft etwa am 22./23. Februar im Kaufhof das „Festival der Demokratie“ – weitere Veranstaltungen folgen.

Hindernisse auf dem Weg

Die Projektpartner haben hohe Erwartungen geweckt, nun stehen Stadt und Versicherungskammer unter Druck. Es droht der Absturz, wenn die Investorenfrage offenbleibt – womöglich muss die Stadt dann den Kaufhof übernehmen und als Tochterunternehmen führen.

Die Regale und Stellwände sind gähnend leer, Rolltreppen und Aufzüge stehen ebenso still wie der alte Paternoster für die Belegschaft. Es wirkt, als warte alles auf eine schnelle Wiederbelebung. Durchaus möglich, dass damit Tänzer:innen, Mu­si­ke­r:in­nen und Künst­le­r:in­nen liebäugeln, die im Frühjahr den Kaufhof „bespielen“.

Offen ist bei beiden Häusern eine Zwischennutzung. Die Untersuchungen laufen, die marode Haustechnik gilt jedoch als Problem. Bis Juni soll eine Machbarkeitsstudie mit Nutzungskonzepten vorliegen. Einen Mixed-Use-Ansatz favorisiert das „Stab Innenstadt“-Team beim Wirtschaftsreferat, vor der Sommerpause entscheidet der Stadtrat planmäßig über das weitere Vorgehen. Gewünscht wird ein Investor, der das Konzept umsetzt.

Ob das am Ende klappt, ist die Frage. Die Stadt jedenfalls geht voran und will die Fußgängerzone aufpolieren, die derzeit mit rund 15 Prozent Leerstand ein trauriges Bild abgibt. Wenn alles gut geht, will man bis Ende 2027 damit fertig sein.

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