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die ortsbegehungHupen im Nichts

Die kleine schleswig-holsteinische Gemeinde Aukrug schlängelt sich um eine schnurgerade Bahnstrecke, auf der seit einer Weile fast lautlose Akkuzüge fahren. Das wäre ein Segen, wenn sie nur nicht hupen müssten

Gerade weil Akkuzüge so leise sind, müssen sie sehr laut hupen Illustration: Jeong Hwa Min

Aus Aukrug Ilka Kreutzträger

Weiter, weiter, weiter, weiter“, sagt die Frau auf dem Rad zu ihrem Hund. Als müsste sie ihm Mut zusprechen. Das Tier trabt unbeeindruckt vor ihr her. Sonst ist kein Mensch zu sehen, weder auf der schmalen Straße, noch in einem der Vorgärten. Hund und Frauchen passieren einen der sieben Bahnübergänge in Aukrug, verschwinden in Richtung der Wiesen am Ortsrand, auf denen satt das Regenwasser steht. Aus der Ferne weht ein Signalton heran: Fiiiieef, fiiiiiief! Wenig später rauscht ein Zug durch. Öde oder idyllisch? Nicht so leicht zu unterscheiden.

Der Signalton jedenfalls machte die schleswig-holsteinische Gemeinde im Sommer bekannt. Der NDR und Sat1 schickten Kamerateams und berichteten über das laute Hupen, das „bis zu 168 Mal am Tag die Stille durchreißt“, eine „trügerische Idylle herrsche hier im Ort zwischen grünen Felder und saftigen Wiesen“.

Mit den Fingern in den Ohren

Die örtlichen Zeitungen druckten Fotos von Aukruger*innen, die sich Finger in die Ohren steckten, während hinter ihnen ein Zug vorbeifuhr. Auch vom Bürgermeister gibt es ein solches Bild. Er könne gar nicht mehr ruhig schlafen, wurde er zitiert, sitze manchmal senkrecht im Bett und der Zustand für sein Dorf sei „nicht hinnehmbar“. Und, so seine Sorge, der Zugverkehr könnte mit Fertigstellung der Northvolt-Fabrik im benachbarten Kreis Dithmarschen sogar noch zunehmen.

Joachim Rehder, seit 48 Jahren SPD-Mitglied, seit 30 Jahren in der Gemeinde politisch aktiv, seit Kurzem Rentner, ist hier seit 18 Jahren Bürgermeister, ehrenamtlich. Eigentlich ein Fulltimejob, man muss das schon wollen, sich in seiner Freizeit um die Belange einer Gemeinde zu kümmern. Rehder will das. Aukrug ist 1969 durch den Zusammenschluss von Bargfeld, Tönsheide, Böken, Bünzen, Homfeld, Bucken und Innien entstanden. Wenn Rehder über den Ortsteil Innien spricht, klingt das wie: Indien. Das Problem mit dem Gehupe, sagt Rehder, sei mit den neuen Akkuzügen auf der Linie RB63 der Nordbahn in den Ort gekommen.

Emissionsfreie Akkuzüge

Auf der eingleisigen Bahnstrecke, die schnurgerade durch die Gemeinde mit ihren knapp 4.000 Ein­wohner*innen verläuft, fahren nämlich seit Mai Akkuzüge statt Dieseltriebwagen – pro Stunde einer nach Neumünster und einer in die Gegenrichtung nach Hohenwestedt. CO2-emissionsfrei. Und leise. Endlich keine Erschütterungen mehr, kein Treibwagengerassel, endlich Ruhe im Ort, darauf habe man sich gefreut, sagt Rehder.

Aber weil die Akkuzüge nahezu geräuschlos heranrauschen, müssen sie an den ungesicherten Bahnübergängen, also ohne Schranke und Ampel und so etwas, in Aukrug sind das vier der sieben Bahnübergänge, einen mindestens drei Sekunden langen Signalton abgeben. Damit niemand aus Versehen die Gleise überquert, wenn ein Zug kommt. Eine EU-Vorschrift sieht für den Signalton 100 Dezibel vor, das ist etwa so laut wie die viel zitierte Kreissäge oder wie in einem Club. „Wenn der Wind ungünstig steht, dann hören alle im Ort das Hupen, das kann schon nerven“, sagt Rehder.

Aukrug, das sind viele Einfamilienhäuser in Backsteinoptik mit Garten, ein kleiner Bahnhof, ein mit Biogas auf 27 Grad beheiztes Sommerfreibad mit 50-Meter-Becken, drumherum viel Wiesen, Wälder, nichts. Der Friseur heißt hier „Salon Schnack“, es gibt Arztpraxen, einen kommunalen Kindergarten mit 14 Gruppen und 40 Angestellten und zwei Supermärkte, an manchen Tagen kommt ein Fischverkaufswagen. Es gibt fünf Ortsfeuerwehren mit insgesamt drei Wachen und 150 aktiven Wehrleuten.

An den Obstbäumen, die an einigen Straßenrändern gepflanzt wurden, hängen laminierte Zettel: „Große Kassler Renette – Herkunft unsicher, ggf. Holland, früher in Südniedersachsen verbreitet“, steht zum Beispiel drauf. Es gibt eine Streuobstwiese samt Schwalbenhaus mit Kunstnestern drin. Das soll die früher hier so typischen Dachüberstände der Höfe, in denen Mehlschwalben ihre Nester bauen konnten, ersetzen.

Nix wie hin

Die Besonderheit

Auf jeden Fall ist die Gemeinde Aukrug was für Fans von Bahnübergängen. Wo gibt es schon sieben Stück in einem Ort?

Das Zielpublikum

Das kann das Gemeinde­marketing am besten selber sagen und zwar so: „Eingebettet in eine Landschaft mit sanften Hügeln, Seen und Mooren ist hier der ideale Ort, um die Seele baumeln zu lassen.“ Der Bahnübergang im Ortsteil Bünzen zum Beispiel eignet sich sehr gut, um beim Zug-Vorbeirauschen die Seele baumeln zu lassen. Kurz hinterm Ponyhof queren hier die Gleise die schrubbelige Straße.

Hindernisse auf dem Weg

Eigentlich keines, das ins Auge springt. Einfach rein in die Nordbahn und los. Nur nicht den letzten Zug verpassen, sonst kommt man nicht mehr weg.

Uhus und Knoblauchkröten

Aukrug ist ein staatlich anerkannter Erholungsort, liegt im 380 Quadratkilometer großen Naturpark Aukrug. Hier leben Uhus, Knoblauchkröten und Schwarzstörche. Im Sommer kommen Wander- und Rad­fahr­tou­ris­t*in­nen her, ein wichtiger Wirtschaftszweig für den kleinen Ort. „Wir können wegen des Naturparks zum Beispiel keinen Gewerbepark einrichten“, sagt Rehder. Um die Gemeindekassen zu füllen, muss man sich da was anderes einfallen lassen. Gerade wird ein Windpark gebaut.

Ist das mit dem Hupen der Züge wirklich so schlimm, dass es ihn um den Schlaf bringt? „Es gibt schon einen hohen Gewöhnungseffekt“, sagt Rehder. Und kürzlich erst kam eine gute Nachricht, die da heißt: „Sonder-Hup-Ordnung“. Die hat die Nordbahn, die die Strecke betreibt, erlassen und nun hupen die Züge in einem helleren Ton, zumindest bis 2028. So lange soll es dauern, bis die große Lösung kommt, die da heißt: Schrankenanlage.

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