die jazzkolumne: Wayne Shorter und der Film „Jazz Seen“
Raus aus der Mittelmäßigkeit
Es wird ein Wayne-Shorter-Sommer werden. Auf seine CD „Footprints live!“, die pünktlich zur Festivalsaison Anfang Juni erscheint, folgt unmittelbar Shorters Kritik, dass die Leute, die über Musik reden und schreiben, in den letzten Jahren wichtiger geworden seien als die Musiker selbst.
Besonders Typen wie den afroamerikanischen Publizisten Stanley Crouch hält Shorter für wenig integer. Shorter bezeichnet Crouch, der Miles Davis wegen seiner Platte „Bitches Brew“ einen „Waldheim des Jazz“ nannte, der den Jazz an den Popmarkt verraten hätte, als einen neuen Typus von Jazzmafioso, der mit einer Fülle von Halbinformationen die Söldner füttert und blinde Gefolgschaft erwartet. Crouch ist besonders in jüngster Zeit in die Kritik geraten, weil er für seine limitierte, mit politischer Rhetorik garnierte Jazzdefinition in der einflussreichen Zeitschrift Jazz Times eine eigene Kolumne bekam. Es hagelte Leserbriefe und Abokündigungen ohne Ende, besonders wegen seiner idiosynkratischen Hasstiraden auf alles, was nach Pop, World und HipHop riecht.
Weg von der Mittelmäßigkeit, rät da der praktizierende Buddhist Shorter, auf zu neuer kreativer Offenheit und Happiness. Shorter, der im nächsten Jahr 70 wird, macht auf seiner neuen CD das, worum ihn die Kritiker seit Jahren bitten: Tenorsaxofon spielen und Jazz eben, wie man ihn seit dem Miles Davis Quintet des Sechzigerjahre nicht mehr gehört hat. Dieser CD-Veröffentlichung geht eine intensive und andauernde Diskussion mit seinem Freund Herbie Hancock voraus – beide waren maßgeblich am legendären Miles Davis Quintet beteiligt. Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, wie der Jazz sich aus der kleinen engen Box befreien kann, in der er seit Jahrzehnten steckt.
Shorter spricht nun von der Erforschung neuer Ausdrucksmöglichkeiten, von neuen Kompositionsformen, angelehnt an die Kammermusik etwa. Ähnlich wie Wynton Marsalis – wenn auch mit einem völlig anderen Vokabular – will Shorter das individuelle Solo des modernen Jazz stärker in das Zusammenspiel der Band integriert wissen. Es geht hierbei aber nicht nur um die Präsentation der Musik – weg von den langweiligen Soloabfolgemustern des Bebop – Shorter will eine Gruppe von Musikern, in der die einzelnen Mitglieder während des Spiels simultan komponieren und so eine Sensibilität und ein Bewusstsein entwickeln, wie die Musik sich entwickeln kann. Man wird schon in Kürze sehen, wie das gehen soll. Der neue Jazz kommt mit dem Spirit einer musikalischen Revolution.
William Claxton hat solche Typen sein Leben lang fotografiert. Dazu gehören allzu oft auch Bilder, die aus einem sehr intensiven und kurzen Leben berichten. Wie etwa das Foto, das den Erfinder des Bebop, den früh verstorbenen Altsaxofonisten Charlie Parker, in einer höchst ungewöhnlichen Pose zeigt – lachend. In dem neuen Julian-Benedikt-Film „Jazz Seen“ treffen sich die beiden Freunde William Claxton und Helmut Newton in Newtons Büro in Monte Carlo und schauen sich Fotos an. Und dann sagt Newton, dass ihm aufgefallen sei, dass die besonders kreativen Menschen, die er in seinem Leben getroffen hat, eint, dass sie immer ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. Bei Newton und Claxton war und ist das die Fotografie. Und der Jazz, fügt William Claxton hinzu. Claxton porträtierte mit seinen Fotos das Lebensgefühl zwischen Cool Jazz und Minirock, zwischen Frank Sinatra und Twiggy. In „Jazz Seen“ erzählt der Schauspieler Dennis Hopper, wie Claxton ihn einst auf der Straße ansprach, weil er ihn fotografieren wollte. Das war in den Fünfzigerjahren, und damals waren sie jung, wild und cool.
Als Buch ist „Jazz Seen“ bereits ein Bestseller beim Kölner Taschen Verlag. Wenn man heute Claxtons Fotos von den großen Stars der Jazzgeschichte sieht, die seiner Kamera und ihm in verrauchten Jazzclubs entgegenlächeln, hat man schnell das Gefühl, Bescheid zu wissen und dazuzugehören. Seine Fotos ermöglichen dem Betrachter die Teilnahme am Gesehenen, sie schaffen Nähe. In seinem dokumentarischen Spielfilm „Jazz Seen“ macht Benedikt partiell genau das, wovor Wayne Shorter warnt. Besonders dann, wenn in peinlichen Spielszenen gelebtes Leben so nachgezeichnet wird, als hätte es gar nicht stattgefunden. Dennoch lässt Benedikts Film keinen Zweifel daran, dass Claxtons Lebenswerk das Ergebnis ständigen Gebens und Nehmens ist.
Im Gegensatz zu Newton ist Claxton ein emotionaler Fotograf. Der junge Steve McQueen hinterließ einen der prägendsten Eindrücke auf Claxton, für ihn wurde McQueen damals zum Inbegriff des jungen amerikanischen Wilden der Nachkriegszeit, hochintelligent, unberechenbar, extrem lebensbereit, risikofreudig und gänzlich ohne Benehmen. Claxtons Fotos von McQueen und dem Jazztrompeter Chet Baker zeigen, wie Sexappeal abgebildet werden kann, ohne pornografisch oder entsprechend kalkuliert zu wirken. Seine Fotos vom jungen Chet Baker prägten eine aus heutiger Sicht ungewöhnliche Verbindung, die von schicken, coolen und hippen jungen Frauen und Männern und einer Musik, wie sie in den Fünfziger- und Sechzigerjahren von Jazzmusikern an der amerikanischen Westküste gespielt wurde.
Mit „Jazz Seen“ knüpft Benedikt an seinen Film „Blue Note. A Story of Modern Jazz“ an, der die Geschichte einer für den Jazz sehr wichtigen Plattenfirma und ihrer Musiker erzählte, bei Blue Note erschienen in den Sechzigern auch Shorters Klassiker „Adam’s Apple“ und „Speak No Evil“. In „Jazz Seen“ dreht sich nun alles um den Fotografen William Claxton, den West Coast Jazz und um einige New Yorker Musiker, die Claxton in Kalifornien fotografierte. Das Coverfoto für eine Platte des Saxofonisten Sonny Rollins, „Way Out West“, das den afroamerikanischen New Yorker Musikerstar in Cowboyklamotten in der kalifornischen Wüste zeigt, brachte Rollins damals – zurück in seiner Heimatstadt – aber nichts als Hohn und Gelächter von Seiten seiner Kollegen ein. Claxtons Chet-Baker-Fotos hingegen hatten den jungen Trompeter zum Star und Sexsymbol des Cool Jazz gemacht. Und als ein Musiker ihm dann in „Jazz Seen“ sagt, er, Claxton, habe manchmal in seinen Bildern mehr Jazz gezeigt, als die Musik in dem Moment hergab, als er den Auslöser drückte, dann ist man irgendwie an der Basis angelangt.
CHRISTIAN BROECKING
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