die gesellschaftskritik: Nieder mit der Vatersnamen-Tradition
In Russland kämpfen Frauen dafür, ihren Kindern auch Muttersnamen statt die des Vaters geben zu dürfen
„Swetlana Alexejewna, Sie können zur Blutabnahme“, heißt es beim Arzt. „Ich heiße Maria Wiktorowna“, sagt eine Fünfjährige im Kindertheater. Und auch bei der Pressekonferenz des russischen Präsidenten werden die Fragen an „Wladimir Wladimirowitsch“ gestellt. Der Ausdruck „Herr Putin“ wäre völlig daneben und in der russischen Ansprache als solcher gar nicht erst vorgesehen. Hier zählen der Vorname und der Vatersname. Nach russischem Familienkodex muss jedes Kind mit solch einem Vatersnamen versehen werden: Heißt der Vater Sergei, so ist die Tochter eine Sergejewna, der Sohn ein Sergejewitsch, trägt der Vater den Namen Oleg, so heißen seine Kinder Olegowna oder Olegowitsch. Das steht auch offiziell in der Geburtsurkunde und sei, so sagen es die Menschen im Land, ein identitätsstiftendes Element. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.
Was aber passiert, wenn der Vater eines russischen Kindes nicht bekannt ist oder ihm das Kind, zumindest nach Meinung der Mutter, vollkommen egal ist? Tja, sagen die Standesbeamten und raten: „Geben Sie dem Kind irgendeinen Vatersnamen oder den Vatersnamen Ihres eigenen Vaters.“ So manch russische Frau schüttelt da nur den Kopf – und versieht ihr Neugeborenes kurzerhand mit einem Muttersnamen: Nataljewitsch (von Natalja), Juljewna (von Julia), Annowna (von Anna). Erlaubt ist das natürlich nicht. Dennoch meldeten in den vergangenen Monaten gleich mehrere russische Standesämter sogenannte Matronyme, Muttersnamen eben. Die Beamtinnen – es waren tatsächlich nur Frauen – wendeten einen Trick an: Ist Maria nicht auch ein Männername? Was ist mit Juli und Natali? Als Vatersnamen für geeignet erklärt. Die gesetzlichen Vorgaben waren dadurch erfüllt. Manchen russischen Frauenkämpferinnen reicht das lange nicht. Sie wollen Gleichberechtigung: Vatersname oder Muttersname – sollen doch die Eltern selbst entscheiden, nicht der Staat.
Eine Petition dazu haben die Gegner schnell abgeschmettert. Feminismus, diese „westliche Pest“, soll nicht auch noch die Vatersnamen-Tradition zerstören, sagen sie. Und so schreiben die Standesbeamt*innen weiterhin Alexandrowna, Walerjewitsch, Jewgenjewitsch. All das ginge gar als Muttersname durch. Dumm nur, wenn die Mutter nicht Alexandra, Waleria und Jewgenia heißt. Inna Hartwich, Moskau
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