piwik no script img

die erklärungSchiene, Straße, Schule – es geht voran

Der Bundestag hat das Grundgesetz geändert, damit der Staat Ausgaben in bislang ungekanntem Ausmaß finanzieren kann. Wohin geht das ganze Geld? Wie sieht's beim Klimaschutz aus, und wie beim Sozialen?

Nicht nur die Elbbrücke bei Bad Schandau ist gesperrt. Der Staat hat zu lange zu wenig in die Infrastruktur investiert, das soll sich jetzt ändern Foto: Fo­to:­ Sebastian Kahnert/dpa

Von Anja Krüger

1 Der Bundestag hat das größte Finanzpaket in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen und die Schuldenbremse teilweise gelockert. Worum geht es da genau?

Der Bundestag hat mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben faktisch abgeschafft. Ab einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – das waren 2024 rund 43 Milliarden Euro – fallen Ausgaben nicht unter die Schuldenbremse. Damit müssen Ausgaben für das Militär künftig darüber hinaus nicht mehr nur aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Das gilt auch für Mittel für Nachrichtendienste, Zivil- und Bevölkerungsschutz und die Unterstützung völkerrechtswidrig angegriffener Staaten. Gleichzeitig hat der Bundestag grünes Licht gegeben für ein großes kreditfinanziertes Investitionspaket mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro, das Union und SPD auf den Weg bringen wollen. Das Geld soll über einen Zeitraum von 12 Jahren fließen.

2 Keine Schuldenbremse mehr für Militärausgaben – wofür soll das viele Geld ausgegeben werden?

Was genau mit dem Geld angeschafft werden soll, ist unklar. Der Bedarf für Militärgüter muss erst genau eruiert werden. Union, SPD und Grüne gehen davon aus, dass sich mit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump die Sicherheitslage grundlegend geändert habe und Deutschland künftig sehr viel mehr Geld in Militärausgaben stecken müsse. Im vergangenen Jahr meldete die Bundesregierung der Nato rund 90,6 Milliarden Euro. Das waren mehr als 2,1 Prozent des BIP. Bei 3 Prozent wären das mehr als 129 Milliarden Euro – pro Jahr. Das Geld kann zwar auch für Bevölkerungsschutz oder Hilfen für die Ukraine ausgegeben werden, aber nicht für zivile Maßnahmen wie humanitäre Hilfe oder Krisenbewältigungsmaßnahmen, kritisiert der Verband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen (Venro). „Wir hätten uns ein deutlich stärkeres Signal für menschliche Sicherheit erhofft“, sagt Venro-Vorstandschef Michael Herbst. „Frieden sichern heißt mehr, als zurückschießen zu können.“

3 Und wie sieht das Infrastruktur-Paket aus?

Von den 500 Milliarden Euro sollen 100 Milliarden Euro an die Länder gehen und 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds fließen. Die Länder bekommen außerdem mehr Spielraum, Kredite aufzunehmen. Das von den Grünen in der Grundgesetzänderung durchgesetzte Wort „zusätzlich“ soll gewährleisten, dass tatsächlich nur neue Projekte finanziert werden und nicht ohnehin vorgesehene. Darüber, was mit dem Geld genau geschieht, entscheidet der neue Bundestag. Erklärter Wille von Union und SPD ist, mit den Mitteln die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. So soll Geld in den Ausbau der Stromnetze gesteckt werden. Das ist wichtig für den Ausbau der erneuerbaren Energien und wird Ver­brau­che­r:in­nen entlasten. Denn bislang finanzieren die den Netzausbau über Abgaben, die sie mit der Stromrechnung zahlen.

4 Überall sind Straßen kaputt, Schulen und Kliniken baufällig. Der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Klimaneutralität hat gerade erst begonnen. Reicht das Geld für die Sanierung und die ­Dekarbonisierung des Landes aus?

Mit 500 Milliarden Euro kann der Staat tatsächlich eine Menge bewirken. Allerdings ist das Geld für einen Zeitraum von zwölf Jahren vorgesehen – rund 41 Milliarden pro Jahr klingen nicht mehr ganz so wuchtig. Weil der Staat über viele Jahre an vielen Stellen zu wenig Geld ausgegeben hat, ist der Investitionsbedarf immens. Verschiedene Untersuchungen gehen von einem Bedarf aus, der über 600 Milliarden Euro liegt, vor allem für den Klimaschutz, das Modernisieren und Instandhalten von Gebäuden und Verkehrswegen oder den Schutz vor extremen Wetterereignissen wie Stürmen oder Starkregen.

5 Wenn so viel Geld locker gemacht wird, werden dann auch soziale Angebote des Staates ausgebaut, etwa das kostenlose Schul­essen oder mehr Bafög?

Nein. Die Kredite, die der Staat jetzt aufnehmen kann, sind ausdrücklich nicht für sogenannte konsumtive Ausgaben gedacht, sondern nur für Investitionen. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), ­Marcel Fratzscher, fordert sogar einen „Fiskalrat“ für die Kontrolle der Mittel. Dieser soll nach Fratzschers Vorstellungen dafür sorgen, dass das Geld tatsächlich in Verteidigung und Infrastruktur und zum Beispiel nicht in Sozialausgaben fließt. Und nicht nur das. Es drohen Kürzungen. Das Finanzpaket eröffnet zwar mehr Spielraum im Bundeshaushalt, aber nur sehr begrenzt. CDU-Chef Friedrich Merz hat klar gemacht, dass er die öffentlichen Haushalte weiter unter großem Druck sieht – auch wegen der steigenden Zinszahlungen. Er will alle Sozialausgaben „auf den Prüfstand stellen“ – also Kürzungen prüfen. Im Blick hat er vor allem das Bürgergeld, die Rente und Ausgaben für Migrant:innen. Merz hat „schwere Gespräche“ mit der SPD angekündigt. Unklar ist, wie weit die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen mitgehen werden.

6 Der alte Bundestag hat das Infrastruktur-Paket auf den allerletzten Drücker beschlossen. Ist die Idee so neu, dass es nicht anders geht?

Nein. Schon lange fordern Öko­no­m:in­nen ein Investitionsprogramm, um die marode Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Denn es ist vielerorts zu besichtigen: Über viele Jahre ist etwa zu wenig in Schul- und Klinikgebäude, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, die Modernisierung und Reparatur von Schienen, Straßen und Brücken investiert worden. Und nicht nur das: Deutschland hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Aber weder die Große Koalition unter Angela Merkel (CDU) noch die Ampel hat es vermocht, dafür die nötigen Mittel bereitzustellen. Dabei ist die angestrebte Klimaneutralität bis 2045, zu der sich auch SPD und Union in ihrem Sondierungspapier für die aktuelle Regierungsbildung bekennen, nur mit massiven öffentlichen Investitionen zu erreichen.

7 Die Grünen haben den Klimaschutz ins Paket verhandelt. Geht es jetzt voran?

Auf jeden Fall wird sehr viel mehr in den Klimaschutz investiert als bislang vorgesehen. Die Grünen haben dem Paket nur unter der Bedingung zugestimmt, dass innerhalb von zwölf Jahren 100 Milliarden Euro in den Klimaschutz gesteckt werden. Dieses Geld soll in den Klima- und Transformationsfonds fließen, mit dessen Mitteln unter anderem Projekte für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft finanziert werden. Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann, ist aber sehr viel mehr Geld nötig, wie Studien zeigen. Der Expertenrat für Klimafragen geht davon aus, dass die Finanzierungslücke bei einem mittleren bis hohen zweistelligen Milliarden-Betrag im Jahr liegt. Im Finanzpaket ist jährlich nur ein einstelliger Milliarden-Betrag für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehen. Allerdings: Auch von den übrigen Investitionen wird voraussichtlich viel dem Klimaschutz dienen, etwa der Ausbau der Stromnetze oder die Sanierung von Gebäuden.

8 Können Union und SPD mit dem Geld auch Quatsch finanzieren?

Ja, das kann passieren. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass auch unsinnige Straßenbauprojekte und andere unökologische Vorhaben mit dem Geld finanziert werden. Nicht alles, was als Klimaschutz bezeichnet wird, ist es auch. Es ist durchaus möglich, dass Union und SPD die Mittel in Projekte stecken, die von Kli­ma­ex­per­t:in­nen oder Ak­ti­vis­t:in­nen kritisch gesehen werden, etwa die Speicherung von CO2 oder die wenig Erfolg versprechende Forschung zur Kernfusion. Denn über eine konkrete Verwendung der Gelder sagen die Beschlüsse nichts. Deshalb ist es wichtig, dass Opposition und Zivilgesellschaft die Investitionspläne eng und kritisch begleiten.

9 Sind die vielen neuen Schulden nicht eine viel zu hohe Belastung für künftige Generationen?

Den Nachkommenden eine kaputte Infrastruktur zu hinterlassen, ist keine Alternative. Durch die Kredite wird die Zinsbelastung steigen. Aber das kann sich Deutschland leisten. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Staatsverschuldung niedrig. Sie lag 2024 bei 63 Prozent des BIP, in Frankreich bei 110 und in den USA bei 125 Prozent. Trotzdem bleiben Schulden eine Belastung. Deshalb ist es wichtig, dass die Regierung nach weiteren Einnahmequellen sucht. Das könnte eine Vermögenssteuer sein. Würde sie wie in der Schweiz gestaltet, könnten die Länder jährlich mehr als 70 Milliarden Euro einnehmen. Angesichts der massiv steigenden Auftragsvergabe an Rüstungskonzerne ist die Einführung einer Übergewinnsteuer angebracht. Damit kann der Staat Gewinne abschöpfen.

Um das Finanzpaket geht es auch in der Folge „Schulden ohne Ende“ des Bundestalks, dem politischen Podcast der taz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen