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die eine frageDie bessere Geschichte

Warum um Himmels willen sind wir so besessen von der Özil-Story?

Foto: Anja Weber

Peter Unfried

ist taz-Chef­reporter

Wenn ich jetzt an Mesut Özil denke, dann muss ich an einen Satz von Joan Didion denken, der kritischen Wegbegleiterin der amerikanischen 68er und Post-68er. Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben, schrieb Didion. Und da frage ich mich in Sachen Özil und überhaupt: Was erzählen wir uns da gerade – und wozu?

Özil ist ein aus Gelsenkirchen stammender, mittlerweile global agierender deutscher Unternehmer mit derzeitigem Wohnsitz London, der gut Fußball und Playstation spielen kann. Der sich vor der WM für ein Foto neben den autokratischen türkischen Staatspräsidenten stellte (was nicht gut war) und bei der WM Teil einer defensiv nicht gut strukturierten und dadurch nicht erfolgreichen Verbandsfußballmannschaft bei einem Sommerturnier war. Beides wurde sowohl von seinen Beratern als auch vom Verband dilettantisch gemanagt. Aber das Schlimmste daran ist die politisch-medial-öffentliche Diskussion, die in rechten wie linksliberalen Milieus geprägt ist von der obsessiven Überbeschäftigung mit dem Thema „Identität“.

Wir alle sind Teil einer Gesellschaft, die man nicht mal „multikulturell“ nennen muss, weil das schlicht normale Realität ist. Multikulturell bedeutet, dass wir in Deutschland recht ordentlich mit- oder nebeneinander leben, obwohl zu viele türkischstämmige Deutsche Erdoğan gut finden und immer noch zu viele Bayern Söder. Obwohl einige rassistisch unterwegs sind und viele nur noch ihre jeweiligen Fußballklubs oder Smartphones anbeten. Das Verbindende und auch Verpflichtende ist das Grundgesetz. Da darf es keine Ausnahme geben, auch nicht für die CSU.

Auf was will also, um mit Didion zu denken, die Özil-Geschichte hinaus? Auf Ablenkung und auf Spaltung. Die CSU will den Islam von Deutschland spalten, die SPD grenzt Özil als „Multimillionär“ aus. Und wer denkt, tiefer könnten ratlose Volksparteien jetzt immerhin nicht mehr sinken, der wird sich noch wundern.

Die Geschichte, die wir – Politik und Medien – uns gerade erzählen, ist die Geschichte der Spaltung. Dafür gibt es Gründe. Zum einen: News sind bad news. Der New Yorker hat gerade die Frage aufgeworfen, ob die Welt wirklich schlechter wird. In dem Text heißt es, Zeitungen hätten seit 25 Jahren jeden Tag mit positiven Schlagzeile herauskommen können: „Zahl der Menschen in extremer Armut seit gestern um 137.000 gefallen.“ Stimmt. Macht aber keiner.

Zum anderen wäre es fatal zu ignorieren, was vor sich geht: Die Spaltung ist Teil der Realität und der Weltpolitik. Der amerikanische Präsident Donald Trump und andere Regierungen geben die Vorstellung einer gemeinsamen Welt in dem Moment auf, da einzelne Gesellschaften keine Zukunft haben und es weder Schutz und Ordnung noch soziale Gerechtigkeit geben kann, wenn wir das zentrale Problem der Erderhitzung nicht gemeinsam angehen. Das ist eine neue Qualität des politischen Illusionismus und in sich eine zunehmende Bedrohung.

Das heißt: Die Welt wird, sozial gesehen, objektiv besser. Und gleichzeitig ökologisch und politisch bedrohter. Es ist schlecht, und es wird besser. „En même temps“, wie Macron immer sagt. Ohne dieses Bewusstsein ist keine neue Politik möglich. Und noch schlimmer: Die ökosoziale Frage ist nur zusammen mit denen zu lösen, mit denen man nichts zu tun haben will. Das ist hart für alle und eben auch für jene, die in der 68er-Kultur groß geworden sind, die ihr Momentum über gesellschaftliche Abgrenzung und Spaltung erzeugte.

Wir können unsere Geschichte als Geschichte der Spaltung zu Ende erzählen, klar. Das ist unsere leichteste Übung. Aber jetzt, wo die anderen spalten, müssen wir eine Geschichte erzählen können, die über die Spaltung hinausweist. Das ist die bessere Geschichte. Und wenn wir gut zusammenleben wollen, ist es die einzige Geschichte, die helfen kann.

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