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die dritte meinungProminente anzuprangern ist befriedigend, ändert aber nichts, sagt Drew Jacob Mazyck

Drew Jacob Mazyck

studierte Soziologie in Frankfurt am Main und forschte an der International Psychoanalytic University in Berlin. Jetzt arbeitet er als freier Autor.

Gleich nach der Veröffentlichung der Paradise Papers wuchern prominente Namen auf den gängigen Nachrichtenportalen. Queen Elisabeth II., der U2-Sänger Bono, die deutsche Pharma-Unternehmerfamilie Engelhorn – sie und viele andere haben mithilfe der Anwaltskanzlei Appleby Steuern in dreistelliger Milliardenhöhe vermieden.

Spätestens seit den Enthüllungen der Panama Papers über massenhafte Steuer­flucht 2016 überrascht es allerdings kaum noch, dass Nike, Apple und etliche Superreiche aus Politik-, Sport- und Entertainmentindustrie Schlupflöcher in Steuersystemen nutzen. Warum also dieses fieberhafte Suchen nach Einzelpersonen, die sich durch scheinbar zügellose Gier an ihren Bürgerpflichten vorbeitricksen?

Sozialpsychologisch lässt sich hierauf antworten, dass diese Prominenten in Momenten wie diesem eine bestimmte Funktion für uns einnehmen. Sie sind konkrete Figuren, an denen wir die Ungerechtigkeiten, die uns im Kapitalismus widerfahren, festmachen können. Das diffuse Unbehagen in unseren sozialen Verhältnissen wird so für einige Tage vermeintlich greifbar, verkörpert in einem Bösewicht (oder mehreren).

Mehr noch: Für den Augenblick den sie am Pranger stehen, dürfen wir auf diejenigen herabschauen, die wir sonst als mächtiger erfahren. Steckt in der Empörung über „die da oben“ manchmal nicht sogar ein Quäntchen Erleichterung darüber, dass man nun einen Schuldigen hat? Das Problem dieser Dynamik, so verständlich sie sein mag, ist allerdings, dass gesellschaftliche Verhältnisse unangefochten bleiben.

Wie kann man nun mehr aus den Paradise Papers machen als einen Zweiwochenskandal? Sie könnten auch gelesen werden als Ausdruck ungerechter ökonomischer und politischer Strukturen, in denen Ungleichheit nicht erst dadurch verursacht wird, dass Menschen amoralisch handeln. Vielmehr entspricht solches Handeln genau diesen Strukturen.

Diese Lesart kann beängstigend und zermürbend sein, aber sie ist ein erster Schritt zur Änderung der Verhältnisse.

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