die Wahrheit: Nirvana im Nirwana
„Irgendwo hier muss sie doch sein! Keine Sorge – ich finde alles!“ Ulrich Sperber steckt in seinem Element ...
... Genauer gesagt, steckt er mit seinem Kopf im Wäschekorb von Hertha Matuschik und schleudert im Sekundentakt neue Schmutzwäsche durch das Schlafzimmer. Sperber erträgt dabei seelenruhig die Schimpftiraden der rüstigen Rentnerin. Auch lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen, als Frau Matuschik ihren rechten Pantoffel auszieht und beginnt, damit auf Sperbers Hinterkopf einzuschlagen.
Es braucht gute Nerven und eine noch bessere Spürnase in Sperbers Berufsfeld. Mit seinem Start-up hat er eine Marktlücke geschlossen. „Wer kennt das nicht? Das Lieblingsbuch ist unauffindbar, der Rasenmäher fehlt seit zwei Sommern in der Garage, der Winterurlaub steht vor der Tür, aber die Skier nicht im Keller. Unbedacht verliehen und nie wiederbekommen!“, redet sich Sperber in Rage.
Sperber Investigations, die Firma des Mittdreißigers, spürt solche verliehenen Gegenstände wieder auf. „Oft hat der Kunde nicht mehr die geringste Ahnung, wem er seinen Besitz geliehen hat. Einfach vergessen! Da müssen selbstverständlich hochmoderne Techniken zum Einsatz kommen“, sagt Sperber, während er eine gelblich-verfärbte Unterhose auf möglichen Inhalt überprüft.
„Ich habe die CD nicht! Ich habe nicht einmal ein Gerät dafür!“ Frau Matuschik hat resigniert und den Pantoffel wieder angezogen. Sie steht nun kopfschüttelnd in der Tür. Ihr Enkel Patrick hat Sperber beauftragt sein verliehenes Nirvana-Album „Nevermind“ wiederzufinden.
„Der Patrick vermutete einen alten Schulfreund als Übeltäter, aber ich habe einen guten Riecher! Und der sagt mir, dass diese feine Dame hier etwas mit der CD zu tun hat!“ Anklagend zeigt Sperber mit seinem Zeigefinger, an dem noch ein beiger Damensocken hängt, auf Frau Matuschik, die er jetzt eindringlich belehrt: „Verliehene Gegenstände nicht zurückzugeben ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, Frau Matuschik!“
Der gelernte Dressurreiter hat nicht nur sämtliche Folgen der US-Serie „C.S.I. Miami“ auf DVD, sondern schon als kleines Kind sämtliche Micky-Mouse-Detektiv-Gimmicks gesammelt. Dieser reichhaltige Wissensschatz sei in seinem Job das wichtigste Kapital, verrät der Jungunternehmer. Sperber hat mittlerweile seine Suche im Wäschekorb unterbrochen und zwei Tassen Kaffee bei Frau Matuschik geordert, die wüst schimpfend in der Küche verschwunden ist. Es ist diesem Mann anzusehen, dass er sich in seinem Job pudelwohl fühlt.
Entspannt liegen seine Füße auf dem Couchtisch im Wohnzimmer, während er erzählt, wie ihm die Idee zur Gründung des Start-ups kam: „Meine Frau verleiht ständig Sachen. Ich wollte neulich einen Nudelauflauf machen und habe die Käsereibe nicht gefunden! Minuten später stand ich bei ihrer besten Freundin auf der Matte und habe das komplette Haus auf den Kopf gestellt. Das hätten Sie sehen sollen, was die für Augen gemacht hat!“
Die Käsereibe habe er damals zwar nicht gefunden, dafür aber ein Erfolg versprechendes Geschäftsmodell. Als Sperber aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden war, kündigte er seinem Pferd und eröffnete kurzerhand das Büro für Investigationen. „Viele trauen sich ja gar nicht, bei ihren Bekannten nachzufragen. Seit Jahrtausenden profitieren dreiste Menschen wie Frau Matuschik vom Schamgefühl der Betroffenen. Aber damit ist Schluss! Ab sofort sorgt Sperber Investigations für Recht und Ordnung!“
In diesem Moment bringt Frau Matuschik den Kaffee. „Na endlich!“, ruft Sperber gut gelaunt und lässt sich nicht davon irritieren, dass sie nun unverhohlen mit der Polizei droht. „Das Geheimnis meines Erfolgs ist die Hartnäckigkeit. Sehen Sie, ich habe jetzt zwei Stunden lang das Haus durchsucht und rein gar nichts gefunden. Nirvana ist offenbar im Nirwana verschwunden. Alle Anzeichen deuten ’vermeintlich‘ darauf hin, dass diese alte Frau nichts mit der Nirvana-CD zu schaffen hat. Kein CD-Player, falsche Zielgruppe, Unschuldsbeteuerungen. Doch davon dürfen Sie sich nie täuschen lassen!“
In solchen komplizierten Fällen muss Sperber besondere Maßnahmen ergreifen. Er tue das nur ungern, aber drastische Situationen erforderten drastische Handlungen. „Ich ziehe erst einmal für die nächste Zeit bei Frau Matuschik ein. Ich bin darauf geschult, wochenlang in fremden Habitaten zurechtzukommen. In dieser Zeit werde ich alle Künste der investigativen Nachforschung bemühen, um die verlorene CD dem Kunden wiederzubeschaffen.“
Frau Matuschik hat sich mittlerweile mit einer gusseisernen Bratpfanne bewaffnet. Es könnte eine längere Auseinandersetzung werden.
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