der rote faden: Das Kleinkind schreit, der Kanzler schweigt
Durch die Woche mit Saskia Hödl
Die besinnliche Zeit des Jahres. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen aussieht, aber hier brüllt das 15 Monate alte Kind, weil es irgendwas nicht haben kann, was es aber haben will, und uns bleibt nur übrig, zu rätseln, was es denn nun ist, das es jetzt für sein Kleinkinderglück sofort haben muss oder tun will. Der Topf? Brüll. Der Löffel? Brüll. Das Stück Brot? Brüll. Die Flasche? Der Hund? Das Ohr? Du willst dem Hund die Flasche ins Ohr stecken? Nein, das geht nicht. Doppelbrüll.
Was für ein enormes Privileg es ist, seine Gedanken und Wünsche präzise ausdrücken zu können, wird einem erst klar, wenn man so einen Stöpsel zu Hause hat, der genau in jenem Übergangsalter ist, in dem er zwar schon so ziemlich alles verstehen kann, aber im Gegenzug trotzdem nur einen Bruchteil dessen ausdrücken kann, was in seinem Kopf an Gedanken umherschwirrt.
Ständig diese Frage: Was will er denn nun? Dieser Zustand muss so dermaßen frustrierend sein, dass es wohl ein Geschenk der Natur ist, dass wir diese Zeit der kindlichen Sprachbarriere später auch wieder vergessen.
Eine Zeit, die ich meinetwegen auch gerne wieder vergessen könnte, ist das vergangene politische Jahr in Österreich. Seit einem Jahr ist diese Regierung aus ÖVP und FPÖ nun an der Macht, und wenn man einen Jahresrückblick darauf erstellen müsste, er wäre gespickt mit den typischen ausladenden, Eloquenz vorgaukelnden Handbewegungen des Bundeskanzlers Sebastian Kurz, begleitet von aneinandergereihten Floskeln und konservativen Buzzwords.
Die Inhalte, mit denen die FPÖ in diesem Jahr vor allem auffiel, waren Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Sexismus, Nationalismus und ein bisschen Beschränkung der Pressefreiheit zum Darüberstreuen.
Aber was will dieser Kanzler nun eigentlich? Wer ist er und wofür steht er? Fragen, die auch nach einem Jahr Rechtswalzer mit der FPÖ noch weitgehend offen sind. Heute ist es wohl wahrscheinlicher, von einem der zwölf Pferde der neuen Wiener Ponyzei – die von Innenminister Kickl (FPÖ) gegen allen Spott geplante Reiterstaffel der Wiener Polizei – eine fundierte politische Stellungnahme zu den Fehltritten der FPÖ und zur Ausrichtung der Regierung zu bekommen, als vom werten Kanzler selbst.
In Anlehnung an den früheren Kanzler Wolfgang Schüssel – auch er ein ÖVP-Politiker, auch er hat mit der FPÖ regiert und auch er hat sich der rechtsnationalen Partei gegenüber maßgeblich durch Wurschtigkeit ausgezeichnet – wird Kurz seit einiger Zeit als „Schweigekanzler“ betitelt. Das Wort wurde nun auch österreichisches Wort des Jahres 2018 – Ponyzei hat es gegen jede Erwartung leider nur auf Platz vier geschafft. Und während „Schweigekanzler“ mal sicher keine durchweg positive Zuschreibung ist, ist sie doch ein bisschen zahm. Ein bisschen zu nett.
Schweigen hat etwas Ehrwürdiges, man enthält sich, einfach weil man es kann. „Schweigekanzler“ ist ein gutes Stück ehrwürdiger als der Teflonpfannenbeiname, den sich Bundeskanzlerin Angela Merkel eingefangen hat, weil sie sich mit bestimmten Dingen einfach nicht auseinandersetzen wollte.
Auch in ost- oder südeuropäischen, asiatischen oder afrikanischen Ländern bezeichnet man Männer, die um des eigenen Machterhalts willen Hetze gegen Minderheiten im eigenen Land und die Einschränkung der Presse in Kauf nehmen, mit vielen Namen, aber sicher nicht als „Schweigekanzler“.
Und das Schlimmste: Das alles funktioniert immer noch ausgezeichnet innerhalb des Kurz’schen Framings. Er verkauft dieses Nichtssagen, die ständige Enthaltung als den im Wahlkampf versprochenen „neuen Stil“ – unter dem Vorwand, dass es die Österreicher jetzt echt mal verdient hätten, nach einer Zeit der großkoalitionären Streitigkeiten und des „Anpatzens“ auch mal eine in sich ruhende Regierung zu haben.
Aber wissen Sie, wer noch in sich ruht? Autokraten. Menschenrechtsverachter. Scheintote Machtpolitiker. Wenn es einen österreichischen Bundeskanzler nicht auf den Plan ruft, dass der Regierungspartner von Antisemit*innen und Rassist*innen durchsetzt ist, die das bei jeder Gelegenheit ganz ungeniert offenlegen, dann ist das kein Schweigen und auch kein Ruhen, sondern – gerade in diesem historischen Kontext – einfach nur hochgradig fahrlässig.
Wenn Kurz sich dann doch mal äußert, wie vergangene Woche auf dem von ihm veranstalteten Afrika-Gipfel in Wien, dann bekommt man eine Ahnung, wofür dieser Bundeskanzler, abseits des ganzen FPÖ-Krawalls, selbst steht. Für Afrika solle es weggehen von Entwicklungshilfe und hin zu Investitionen, so der Tenor. Man dürfe „den afrikanischen Kontinent nicht den Chinesen überlassen“, sagte Kurz in bestem Kolonialherrenstil auf dieser internationalen Bühne.
Nächste Woche Klaus Raab
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