der rote faden : Wie Europas Werte schwinden und das Internet zum Sandkasten wird
durch die woche mit
Meike Laaff
Es tut mir leid, ich kann das nicht tun“, sagt der kleine weiße Roboter zu dem Mann, der ihn gerade aufgefordert hat, sich zu bewegen. Forscher der Tufts-Universität in den USA trainieren Maschinen derzeit, sich menschlichen Anweisungen zu widersetzen. Und so begründen die kleinen weißen Maschinen dann auch: Nein, sie werden nicht geradeaus laufen. Weil sie dann vom Tisch fallen würden. Oder gegen ein Hindernis. Selbsterhaltungstrieb. Oder auch: erste Babyschritte in einem Prozess, in dem Maschinen zu hinterfragen beginnen, ob ihre eigene Einschätzung von Situationen nicht besser ist als menschliche Anweisung oder Programmierung. Und anfangen, Widerworte zu geben.
Es ist – neben allen faszinierenden bis beängstigenden Fragen rund um künstliche Intelligenz, die daran hängen – ziemlich interessant, dass Maschinen gerade jetzt anfangen, kritisches Hinterfragen zu lernen. In einer Zeit, in der es scheint, dass große politische Entscheidungen zunehmend reflexartig gegeben werden. Beispiel Syrien: Solange dort die demokratische Opposition pulverisiert oder Zivilbevölkerung jahrelang mitabgeschlachtet wurde, sahen sich die europäischen Länder kaum gezwungen, in Syrien einzugreifen. Das schaffte erst ein Terroranschlag auf eigenem Territorium. Eine Reaktion, die maßgeblich von Angst um die eigene Sicherheit getrieben ist. Und eine, die die Gefahr, dass es auch künftig Terroranschläge in Europa geben können wird, nicht beseitigt.
Versteht man die Terrorangriffe von Paris als Angriff von IS-Assoziierten und -Sympathisanten auf westliche Werte, dann demonstriert Europa gerade eindrücklich, dass da ohnehin nicht mehr allzu viel zu holen ist. Gleichheit, Humanismus und viele andere demokratische Grundwerte, auf die sich der Westen gern viel einbildet, hören zunehmend auf, Ausgangspunkt für politisches Handeln zu sein. So kalt, wie Geflüchteten aus Syrien, die um ihr Leben rennen, vielerorts in Europa begegnet wird, so gleichgültig wird auch seit Jahren hingenommen, dass in unseren Gesellschaften Chancengleichheit, bei Bildung angefangen, längst nicht mehr für alle gilt und Teile der Bevölkerung strukturell marginalisiert und frustriert werden. Dass Aufruhr und Verunsicherung genau das sind, was Anschläge wie die von Paris erzielen wollen, ist eine Binse. Und all das garnieren viele europäische Staaten nun auch noch mit dem Rückschnitt von Grundrechten – von den Notstands-Hausarresten von Paris über den Ruf nach noch mehr Vorratsdatenspeicherung und dem jahrelangen Aufbewahrung von Fluggastdaten bis hin zu britischen Ansätzen, Hintertüren in Verschlüsselungstechnologien einzubauen. Weswegen sich zunehmend die Frage stellt, was das eigentlich noch für ein Europa ist, welche Werte diese Staaten und diese Gemeinschaft noch für sich übrig gelassen haben.
Eine Debatte um den schalen Sell-out von Hehrem und Gutem stachelte auf ganz anderer Ebene in dieser Woche Facebook-Gründer Marc Zuckerberg an. Der verkündete anlässlich der Geburt seiner Tochter, 99 Prozent seines Vermögens, etwa 45 Milliarden Dollar, zu spenden. Genauer gesagt: in eine sogenannte Limited Liability Company zu stecken – die, laut New York Times, weniger Kontrollen und Beschränkungen unterliegt als eine klassische Charity-Organisation. Die gewinnorientierte Organisationen, Parteien oder Lobbykampagnen unterstützen kann und den Zuckerbergs auch noch Steuern sparen könne. Letzteres wies Zuckerberg umgehend weit von sich und kündigte an, das Geld in Bildung und den Kampf gegen Krankheiten zu stecken.
Um diese Diskussion einmal wegzubewegen von purem Hickhack um Steuerersparnisse, Neid und Kritk am Philantrophen-Modell in den USA, in dem Superreiche nach eigenem Gusto einspringen, wo der schmale Staat nichts tut: Am Ende schuld an dem ganzen Schlamassel sind doch die Nutzer. Erst Milliarden von ihnen machen Softwarekonzerne zu mächtigen Entitäten, die versuchen, Meinungsfreiheit, Datenschutz und Steuergesetzgebung nach ihren Regeln auszulegen. Je länger nur eine Minderheit einen feuchten Wisch drauf gibt, wo ihre Daten wie gehostet werden und wer Erträge mit ihnen erzielt, desto mehr wird das dezentral angelegte Internet zu einem Sandkasten, in dem nur nach den Regeln einiger weniger Dienste gespielt wird. Und an dem sich vor allem einige wenige dusselig verdienen. Und mit diesem Geld dann, von einigen Korrekturen abgesehen, halt machen, was sie wollen. Wer darauf keine Lust hat, kann natürlich viel über die Auswirkungen meckern. Wirksamer dürfte aber sein, seine digitale Kommunikation umzuorganisieren.
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