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Deutschlands neue SchuldenUmverteilung statt Schuldenpaket wäre besser gewesen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Das „Sondervermögen“ haben Union und SPD als alternativlos dargestellt. Dabei hätten es auch anders gehen können – historische Beispiele zeigen es.

Seine eigene Partei war mal beherzter, was die Umverteilung von oben nach unten anging: Friedrich Merz bei der Bundestagsabstimmung über das Schuldenpaket Foto: Michael Kappeler/dpa

E s klang, als stünde der Untergang Deutschlands unmittelbar bevor. „Von unserer Entscheidung hängt die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes ab“, sagte der wohl nächste Kanzler Friedrich Merz in der Debatte im Bundestag zum Schuldenpaket. Was nütze die Schuldenbremse, „wenn der Russe vor der Tür steht“, warnte Unionsfraktions­vizechef Jens Spahn in einem Zeitungsinterview.

Mit dem nun beschlossenen Finanzpaket wurde die Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben gelockert und die Einrichtung eines 500-Milliarden-Euro Sondervermögens beschlossen – und dafür das Grundgesetz geändert. Das Sondervermögen ist für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz in den nächsten zwölf Jahren gedacht.

Deutschland und Europa befinden sich in einem historischen Umbruch, und deswegen lassen sich hier in den nächsten Jahren Hunderte Milliarden Euro an neuen Schulden auf Kosten künftiger Generationen zusätzlich aufhäufen und rechtfertigen, so die Argumentation von Union und SPD. Der blinde Fleck in der Debatte ist jedoch die Abwesenheit von Umverteilungsvorschlägen, die nicht nur künftigen Generationen, sondern aktuell der ganzen Gesellschaft und besonders den Wohlhabenden einen Verzicht hätten abverlangen können. Es gibt Beispiele aus der Vergangenheit, wie man in Deutschland mit historischen, kriegsbedingten Heraus­forderungen besser umgegangen ist.

Durch das Lastenausgleichsgesetz von 1952 zum ­Beispiel, unter CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer, mussten Bun­des­bür­ger:in­nen mit Geld- oder Immobilienbesitz eine Abgabe von sage und schreibe 50 ­Prozent auf diesen Besitz leisten. Die Abgabe kam Landsleuten zugute, die ihre Immobilien oder das Geldvermögen durch ­Vertreibung und Kriegsschäden und den Verlust der „Ostzone“ verloren hatten.

Durch die Zinszahlungen für das Finanzpaket werden die öffentlichen Haushalte noch weniger Spielraum haben als bisher

Immobilien wurden bei der Bemessung der Abgabe mit niedrigen Einheitswerten angesetzt, es gab großzügige Freibeträge, zudem war eine bis zu 30 Jahre dauernde Ratenzahlung möglich. Die tatsächliche Belastung der Besitzenden lag im Regelfall bei 10 bis 20 Prozent des Vermögens, schreibt der Historiker Marc Buggeln in seinem Buch: „Das Versprechen der Gleichheit“ (Suhrkamp, 2022).

Die Gerichte sahen im Lastenausgleich keine Verletzung der Eigentumsrechte, schließlich habe der Gesetzgeber „für die Tilgung der Abgabeschuld bei mäßiger Verzinsung einen Zeitraum von 30 Jahren zugelassen“, so ein Urteil des Bundesfinanzhofs von 1963, zitiert von den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestags. Es gehe nicht um die „Umschichtung“ von Vermögen, sondern um die „Linderung sozialer Schäden“, urteilte das Bundesverfassungsgericht damals.

Lastenausgleich, you name it

Auch 1990, vor der Einführung des Solidaritätszuschlags nach der Wende, appellierte CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Fernsehansprache an die Solidarität der Bevölkerung. Für das Ziel der Einheit werde man in der Bundesrepublik „Opfer bringen müssen“, sagte er. Es gehe darum, Teile dessen, was „wir in den kommenden Jahren zusätzlich erwirtschaften, unseren Landsleuten in der DDR zur Verfügung zu stellen“. Der – inzwischen nur noch für Hochverdiener geltende – „Soli“ ist ein Zuschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer, belastet also in absoluten Zahlen Gut­ver­die­ner:in­nen stärker.

Auch jetzt wähnt man sich hierzulande in einer Ausnahmesituation, bedingt durch den Ukrainekrieg und einen unberechenbaren US-Präsidenten. Das Gefühl einer Bedrohung von außen kann Menschen zusammenrücken lassen. Es wäre ein Resonanzraum gewesen, in dem die Regierung durchaus Sonderabgaben und Steuererhöhungen hätte fordern können, die Bessergestellte stärker heranzögen. Stattdessen aber versprachen die Parteien in ihren Wahlprogrammen steuerliche „Entlastungen“. Das ist ein Versprechen, das die Abgabebereitschaft aushöhlt. Diese muss auch in den Mittelschichten noch vorhanden sein, um die öffentlichen Haushalte zu befüllen. Wobei sehr Reiche mehr leisten sollten.

Merz aber geißelte in seiner Ansprache die angeblich zu hohen Sozialausgaben. Durch die Zins­zahlungen für das Finanzpaket werden die öffentlichen Haushalte künftig noch weniger Spielraum haben als bisher. Es wird zu unschönen Aufrechnungen kommen: Brückensanierungen, Klimaschutz und Aufrüstung einerseits gegen die Defizite und den Spardruck bei Kranken-, Pflege- und Rentenkassen andererseits. Das kann sehr hässlich werden. Die Verteilungsfrage muss wieder auf die Agenda.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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