der homosexuelle mann ... :
von ELMAR KRAUSHAAR
... marschiert. Auf Washington. Am kommenden Wochenende ist es wieder so weit. Mehr als eine Million Menschen werden in der US-Hauptstadt erwartet: Lesben, Schwule, Transgender, Bisexuelle, Heteros. The Millennium March! Bereits zum vierten Mal lädt die amerikanische Lesben- und Schwulenbewegung dazu ein, sich der Nation zu zeigen. Ohne Firlefanz und mit viel politischer Rede.
Am 14. Oktober 1979 versammelten sich rund 100.000 zum ersten march. Die Gruppe „Eltern und Freunde von Lesben und Schwulen“ nutzten damals das Jahr des Kindes, um machtvoll auf die Belange ihrer Angehörigen hinzuweisen. Die zweite große Demonstration im Oktober 1987 war bestimmt von einem Thema: AIDS.
Mehr als eine halbe Million Menschen protestierte gegen die unzureichende AIDS-Politik von Präsident Reagan. Im April 1993 schließlich kamen mehr als eine Million zusammen, wieder stand die AIDS-Krise obenan, dazu die Mahnung an Präsident Clinton, seine lesbisch-schwulen Wahlversprechungen zu erfüllen.
Und in diesem Jahr? „Die Bewegung wird erwachsen“, sagt eine der OrganisatorInnen, Dianne Hardy-Garcia: „Sie muss jetzt zu einem wichtigen Faktor im Kongress und in der Gesetzgebung werden.“ Viel unübersichtlicher scheint der Stand der Bewegung dem schwulen Vordenker Michelangelo Signorile: „Das, was wir einfach ‚gay liberation‘ nannten, hat sich heute in Dutzende Mikrobewegungen aufgesplittert.“
Signorile setzt darauf, dass all diese Richtungen, die offensichtlich nicht mehr unter einem Hut Platz haben, noch einmal zusammenkommen, um sich – in aller Vielfalt – ihrer Stärke bewusst zu werden: „Was wir jetzt und künftig noch erwarten können, sind doch diese besonderen Momente, die uns alle gemeinsam berühren.“
Damit das große Gefühl auch wirklich gelingt, traten am Abend vor dem Megaereignis die Pop- und Rock-Ikonen der Gemeinde im RFK-Stadion in Washington auf: „Equality Rocks – The concert for the new century“ ist das Motto, auf der Bühne dabei sind Melissa Etheridge, Ellen DeGeneres, k.d. Lang, George Michael und die Pet Shop Boys. „Our celebrities“, vermelden stolz die lesbisch-schwulen Medien. Woher haben die Amerikaner nur dieses „wir“?
Wir versuchen uns das hier zu Lande vorzustellen, der Marsch auf Berlin und dazu ein Waldbühnen-Konzert mit „unseren“ Idolen. Biolek führt die Demo an mit Mooshammer und einem nicht genannt sein wollenden FDP-Generalsekretär, und auf der Bühne singt Patrick Lindner im Duett mit Hella von Sinnen, Ulrike Folkerts schlägt dazu das Tambourin und Jürgen Marcus bläst auf dem Kamm. Wir wissen, dass wir darauf nicht warten müssen, Berlin ist nicht Washington, und noch wird in Deutschland jedes Promi-Coming-out von einer heftigen Distanzierung begleitet: Ich bin homosexuell, eine Laune der Natur! Aber mit den anderen habe ich nichts gemein!
Deutsche Tradition, mag man meinen. Kurzsichtige Dummheit auf jeden Fall. Ein Zauberwort geistert durch die amerikanische Gemeinde, spätestens seit dem ersten Marsch 1979: Visibility! Sichtbarkeit als erste Voraussetzung für alles, was passiert und passieren soll. Hier sagt man: Mein Schwulsein ist Privatsache. Damit lässt sich nichts zaubern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen