der drang zur körperspende:
von KATHRIN PASSIG
Ein erster Versuch, in die „Körperwelten“-Ausstellung zu gelangen, scheitert, da die Wartezeit selbst nachts um vier noch anderthalb Stunden beträgt. Es ist einerseits angenehm, mal an einem Ort zu sein, an dem man meine Vorstellung von den Tageszeiten teilt, andererseits aber zu kalt zum Warten, also gehe ich stattdessen ins Bett. Im zweiten Anlauf klappt es dann, und gegen Mitternacht werden wir mit den letzten Gästen eingelassen.
Die Ausstellung selbst ist ganz unterhaltsam. Eine Frau bleibt mit den Puscheln ihrer Jacke an der ausgestreckten Hand einer plastinierten Leiche hängen und muss von ihrer quiekenden Freundin befreit werden, und ein nur aus feinsten roten Adern bestehendes Häschen betört mich. Sehenswert ist aber vor allem das Buch, in dem zukünftige Körperspender darlegen, warum auch sie eines Tages diese Ausstellung bereichern möchten. „Ich bin medizinischer Laie“, schreibt ein medizinischer Laie, „aber mir scheint es logisch, dass ein Bedarf an HIV-Aids-Leiden besteht.“ Ob man das so sagen kann? „Meine Frau ist an Krebs gestorben“, klagt ein anderer, „und musste ‚Entsetzliches’ mitmachen …“ Eine „Ehe“ womöglich?
Neben Possierlichem finden sich hier in erster Linie Äußerungen, aus denen hervorgeht, dass das offizielle Ziel der Ausstellung, „Vermittlung von Gesundheitsbewusstsein und Körperverständnis“, nicht unbedingt auch das Ziel der potenziellen Körperspender ist. Niedere Triebe regieren. Auf Platz eins der Beweggründe steht der Volkszorn angesichts empörender Preise im Bestattungsinstitut: „Halsabschneiderei!“ Durch Spenden des Körpers kann man posthum ein paar Kröten sparen und gleichzeitig die professionelle Wartung der Überreste sicherstellen, denn „Meine Tochter kümmert sich nicht um die Grabpflege oder selten.“ Moment mal: „Meine Tochter kümmert sich nicht um die Grabpflege“? Wer bereits tot und begraben ist, sollte kein Körperspender mehr werden dürfen. Das ist eklig.
Überhaupt ist da ja noch diese unappetitliche Geschichte mit den Würmern: „Ich bin nicht in der Kirche und wollte mich anonym einbutteln lassen, aber dass Würmer an meinem Körper nagen, finde ich nicht gut und fände es toll, nach dem Tod irgenwo zu hängen, zu stehen oder scheibchenweise zu liegen.“
Gleich nach Geiz und Ordnungsliebe kommt Geltungsdrang: „… ist mein Hauptbeweggrund zur Körperspende mein ausgeprägter Drang im Licht der Öffentlichkeit zu stehen.“ Besonders Tätowierten scheint die Vorstellung unerträglich, die teuer bezahlten Bildchen einfach vermodern zu lassen, Hinweise auf konservierungswürdige Tattoos – „wenn möglich mit Namensnennung“ – füllen die Wunschliste. „Außerdem möchte ich“, fordert meine Begleiterin konsequent, „dass nach dem Tod meine Dauerwelle erhalten wird!“
„Lieber Herr von Hagens“, notiere ich dem Aussteller zum Abschluss mit zittriger Handschrift ins Gästebuch, „nach meinem Ableben möchte ich bitte als Kaninchen plastiniert werden. Haben Sie bereits im Voraus recht herzlichen Dank.“
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