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demowochenendeVerbot von Spaß und Fröhlichkeit

„Sie halten sich für die Klügsten der Welt / Oh, wie sind sie klug! / Für sie gilt nur das, was ihnen gefällt / Welch ein Selbstbetrug! / Was überall auf dieser Welt den Menschen Freude macht / Darüber rümpfen sie doch nur die Nase / Auf das Getue sagen wir: / Freunde, nun ist mal genug / Wir lassen uns das Singen nicht verbieten / Das Singen nicht und auch die Fröhlichkeit“

Auszug aus einem Schlager

der Sängerin Tina York, 1975

Es war ein wegweisendes Wochenende für die Demonstrationskultur: Weniger weil es ein paar hundert Tiergartenschützern gelang, zumindest für eine Woche eine Millionen Raver aus Berlins größtem Innenstadtpark herauszuhalten. Weniger weil die Tiergartenschützer ursprünglich 25.000 Teilnehmer erwartet hatten und genau diese Zahl ein wichtiges Argument für die Innenverwaltung war, um ihrer Demonstration den Vorrang vor der Love Parade zu geben. Wegweisend war der absurde Rechtsstreit um die Fuck Parade, bei dem sich die Versammlungsbehörde mit ihrem Verbot, Radios bei der Demo zu benutzen, noch einmal selbst übertraf.

Kommentarvon GEREON ASMUTH

Natürlich kann die SPD-Innensenator Ehrhart Körting unterstellte Behörde jegliche Kritik von sich weisen. Denn die Gerichte haben ihr Verdikt gegen eine spaßfreie Politik durch Schnellentscheidungen schließlich gestützt. Aber das macht dies nur um so bedenklicher.

Diese Einschränkung der Demonstrationsfreiheit wird auch andere Protestmärsche treffen. Denn Politik und Justiz haben sich dazu aufgemacht, Form und Inhalt einer öffentlichen Versammlung zu beurteilen. Das Oberverwaltungsgericht bewertete in seiner Verbotsentscheidung der ursprünglichen Fuck Parade die dort angekündigten Parolen als „mehr oder weniger nichts sagend“. Das mag man ja so sehen. Doch selbst wenn es den Dumpfbeat-Anhängern nur darum ginge, ihre eigene Sprachlosigkeit zum Ausdruck zu bringen, bliebe dies ein Anliegen – eines, bei dem die Politiker umso genauer hinhören sollten.

Auf Flugblättern wurde bei der Fuck Parade bereits dazu aufgefordert, am 21. Oktober ungültig zu wählen. Und der Demo-Mitveranstalter „Wolle XDP“ fühlte sich am Samstag gar an das FDJ-Pfingstreffen von 1983 erinnert, bei dem er von Stasi-Mitarbeitern verfolgt wurde, weil er einen Kassettenrekorder dabeihatte.

Im Bundestagswahlkampf war die SPD mit dem Slogan „Wir haben verstanden“ angetreten. In Berlin stellen sich die Verantwortlichen derselben Partei schlichtweg taub. Ganz auf der Linie des viel kritisierten Exinnensenators Eckart Werthebach (CDU) ignorieren sie das Bedürfnis einer jungen Generation nach einer eigenen Ausdrucksform. Und schicken lieber Polizisten auf eine sinnlose Radiojagd.

berichte SEITE 21

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