piwik no script img

dedicated followers of warholBlick und Begehren bei Andy W.

Chance zum Glück

Lange Zeit war die Homosexualität von Andy Warhol nicht wirklich evident. Von einem Geheimwissen kann man aber auch nicht sprechen. Heute lassen sich ohne Aufwand Retrospektiven zusammenstellen, in denen jeder Hinweis auf die sexuelle Verfassung des Künstlers fehlt. Ob diese Ent-Schwulung interessegeleitet ist und welchen Anteil Warhol selbst an der Glättung hatte, ist schwer zu sagen. Mit Sicherheit hat er aber auf dem Kunstmarkt andere Anforderungen bedient als in seinen Büchern und Filmen.

Seit Beginn der 60er-Jahre hatte es im US-Avantgarde-Kino eine erstaunliche Entwicklung gegeben. In Filmen von Kenneth Anger, Ken Jacobs und Jack Smith wurden massenkulturelle Schablonen für transgressive Zwecke genutzt und dadurch auch zum Synonym für sexy Devianz. Es entwickelte sich geradezu ein Markt für Underground-Nacktheit, der mit Warhols Filmen besonders promisk bedient wurde. Einerseits erhöhte das Anrennen gegen alle möglichen Tabus das linke Prestige, andererseits stießen diese Filme bei ihrer Auswertung mit jener Welt zusammen, aus der dann die Pornoindustrie heutiger Prägung entstand.

In Warhols Filmen ging die Verkettung noch weiter: Sie hatte einen Namen und den Körper von Joe Dallesandro. Dallesandro wurde seit 1968 zum Star seiner kommerziellen Filme ab „Flesh“. Erstmals in der Filmgeschichte wurde ein passives, gut aussehendes, männliches Objekt dem Blick ohne jede Verbrämung zur Verfügung gestellt. Dallesandro war durch die Schule von Jockstrap-Entrepreneurs wie Bruce of Los Angeles und Bob Mizer gegangen und war an Exhibitionismus auch durch Filmarbeiten im frühen Hardcorebereich gewöhnt. Warhol, als Fan von 50er-Erotika, konnte selbst im nostalgischen Genre noch eine Lehre erkennen: Filme müssen „arousing“ sein und zeigen, was die Leute haben wollen.

Im Falle des männlichen Sexobjekts waren die Adressaten leicht auszumachen. Homoerotik war allerdings immer nur ein, wenn auch wichtiges Element in einem reichhaltigen und attraktiven Subkulturkosmos von Selbstdarstellern. Es war lange üblich, hinter der filmischen Ausbeutung dieser Figuren immer nur den angespannten Voyeur zu wittern. Auch die banalistische Reduktion auf Warenfetischismus, Glamour oder High/Low-Kontraste, in die sich die Rezeption seit den 80er-Jahren versteinert hatte, machte es nicht leicht, in Warhol mehr als den schlauen, distanzierten Zyniker zu sehen.

Selbst in den „zynischsten“ Bereichen Prostitution und Pornografie, für die Dallesandro stand, war für Warhol noch das Gute einer realen Utopie enthalten. Dallesandro hatte, was Warhol und viele andere sehen wollten, und er bekam dafür etwas zurück: Geld, Ruhm, den Zugang zu Möglichkeiten. Man muss dieses Geschäftsmodell ernst nehmen als eine Idee der Öffnung sozialer Barrieren und einer Chance zum Glück, sei sie auch durch und durch kommerziell angelegt.

Auf dem Höhepunkt der Reagan-Zeit hat Warhol in seinem Buch „America“ auch Ansichten zum Sozialen vertreten. Sie zielten im Wesentlichen auf Ausgleich und Zugang ab. Nicht zuletzt hatte es ihm das materialistische Modell der „Love League“ angetan, das er durch eine Freundin kannte, „or I read it in a magazine“. Es gibt vier Gründe, warum sich Menschen ineinander verlieben: Macht, Geld, Alter, Aussehen. Die vollkommene Balance dieser Faktoren ist Voraussetzung einer gelungenen Bindung. Man muss ganz ehrlich mit sich sein und in jeder Abteilung Noten verteilen. Dann kann etwa einer, der alt, reich, gut aussehend und ohne Einfluss ist, mit jemandem glücklich werden, der jung, arm und einflussreich ist, aber nicht so gut aussieht.

Nur einen geizigen Menschen wie Warhol konnte dieses Programm des restlosen Ausgleichs derart beeindrucken. Es verweist auch auf ein Denken, das nicht weniger interessant ist als die Implikationen seiner Homosexualität. Denn ohnehin war Pop für Warhol das große Rad eines Begehrens, das sich zwischen Geld und Sex dreht und alles und jeden miteinander verbindet. Um das zu sehen, braucht es zwingend den ganzen multimedialen Andy Warhol, nicht nur den des Tafelbildes. MANFRED HERMES

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen