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debatteNetanjahus Sackgasse

Statt über ein Ende der Besetzung zu sprechen, redet Netanjahu vom „Frieden durch Stärke“. Kann das funktionieren?

Die Waffen schweigen, der Iran ist geschwächt, das Atomprogramm wirft Fragen auf. Israel bleibt vulnerabel inmitten feindlich gestimmter Nachbarn. In Benjamin Netanjahus Krieg gegen den Iran gibt es bisher weder eine Lösung noch einen strategischen Sieger. Die Region bleibt instabil.

Ein Blick auf die Vergangenheit hilft, den jetzigen Nahostkonflikt zu bewerten. Vor 23 Jahren starteten die arabischen Staaten, angeführt von Saudi-Arabien, ihre „Land für Frieden“-Initiative. 2002 boten alle Staaten der Arabischen Liga Israel eine Normalisierung der Beziehungen und die Anerkennung an. Dafür forderten sie Israel auf, sich auf die Grenzen von 1967 zurückzubeziehen.

Die Arabische Liga wollte einen unabhängigen palästinensischen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt und eine Lösung der Flüchtlingsfrage. Der Iran unterschrieb damals diese Initiative als Mitglied der Organisation der Islamischen Konferenz. Später setzte sich Netanjahu über die Einigungen hinweg. Er lehnte ein Ende der israelischen Besetzung und einen palästinensischen Staat ab. Heute spricht Israels Premier von „Frieden durch Stärke“. Umgeben von Hybris lobt er seine militärisch-taktischen Erfolge und träumt von einem „Neuen Nahen Osten“.

Seine Armee hat die Hamas im Gazastreifen geschwächt, doch zu welchem Preis? Das Gebiet versinkt in Schutt und Asche, die Bevölkerung hungert.

Netanjahu blendet das aus. Schließlich hat Israel die Hisbollah im Libanon geschwächt, deren Anführer getötet. Syrien mit Bombenangriffen auf Militäranlagen nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad Syrien um Jahre zurückgeworfen. Und nun den Iran militärisch gestutzt. Netanjahu glaubt, dass nichts mehr die israelische Vorherrschaft im Nahen Osten und die Fortsetzung der Besetzung aufhält, solange es Rückenwind aus den USA gibt.

Vorbei sind die Zeiten des israelischen Premiers Jitzhak Rabin, der versuchte, die Besetzung zu beenden. Rabin wurde 1995 von einem jüdischen Extremisten ermordet, seine gedanklichen Nachfolger sitzen heute im israelischen Kabinett.

Bei Netanjahu stößt die Idee „Land für Frieden“ auf taube Ohren. Das Wort „Besetzung“ nimmt er nicht in den Mund. Stattdessen baut er seit Jahrzehnten weiter ein Narrativ auf, das den Iran inklusive Atomprogramm als Israels größten Feind benennt. Irans Regime lieferte mit antiisraelischer Rhetorik dafür auch immer wieder Steilvorlagen. Keine Rolle in der Debatte spielt, dass es völlig absurd ist zu glauben, dass der Iran eine Atombombe gegen Israel einsetzten würde, um sofort darauf selbst von der Atommacht Israel ausgelöscht zu werden – insofern es dem Land überhaupt gelingt, eine funktionierende Atomwaffe zu bauen. Netanjahu hat sein Ziel erreicht. Niemand spricht über die israelische Besetzung. Alle sprechen über die iranische Bedrohung.

Derweil hat der Iran den historisch geprägten arabischen Ärger über die Besetzung kanalisiert und für sich instrumentalisiert.

Karim El-Gawhary

arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahostkorrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radio­studio in Kairo.

Die israelische Besetzung von Gaza ist der Grund für die Entstehung der Hamas. Die Gruppierung wurde zunächst nicht maßgeblich vom Iran, sondern von anderen arabischen Ländern unterstützt. Die Hisbollah bildete sich wegen Israels Besetzung des Südlibanons und wurde als schiitische Organisation von Anfang an vom Iran unterstützt.

Hätte es die Besetzungen nicht gegeben, wäre der Wunsch nach Widerstand obsolet. Und dann hätte sich das iranische Regime nicht diese effektiven Stellvertreter als verlängerter Arm aufbauen können. Sie sollten als erste Verteidigungslinie fungieren, wenn der Iran selbst angegriffen wird.

Teherans Sicherheitsdoktrin war immer: Sollte der Iran militärisch angegriffen werden, können die Stellvertreter die gesamte Region ins Chaos stürzen. Doch in diesem letzten zwölftägigen Krieg wurde deutlich, dass diese Karte in der Hand des iranischen Regimes nicht mehr sticht.

Nach dem 7. Oktober schwächte Israel diese iranischen Proxys militärisch so sehr, dass sie in diesem Krieg keine Rolle spielten.

Dennoch brachte der Iran – zur Überraschung aller – mit seinen Raketen im Alleingang Chaos und ein Gefühl der Verwundbarkeit nach Israel. Netanjahus Kalkül, dass der Iran ohne seine Proxys nicht handlungsfähig sei, ist nicht aufgegangen.

Seine Armee hat die Hamas im Gazastreifen geschwächt, doch zu welchem Preis?

Dass jetzt auch noch Zweifel an der erhofften Schwächung des iranischen Atomprogramms aufkommen, führt dazu, dass Netanjahu nun kaum mehr glaubhaft machen kann, dass er strategischer Sieger in diesem Konflikt ist. Es war anmaßend zu glauben, Israel könnte den Iran, eine der großen Regionalmächte neben der Türkei und Ägypten, tatsächlich militärisch ausschalten. Alle diese Länder besitzen eine strategische Tiefe und Verwurzelung in der Region, auf die Israel nicht bauen kann.

Netanjahus „Neuer Naher Osten“ hatte also einen mehr als holperigen Start. Nachhaltig scheint der Versuch, sich auf diese Weise gegen die traditionellen Regionalmächte durchzusetzen, nicht – US-Hilfe hin oder her. Denn der Rest des Nahen Ostens würde eine militärische Dominanz Israels als koloniales, fremdbestimmtes Projekt ansehen. Das zieht unausweichlich Widerstand an. Durch militärische Stärke allein wird Netanjahu keinen „Neuen Nahen Osten“ formen. Mit seinem Vorgehen wird er weder Sicherheit für Israel noch Frieden schaffen können.

Zurück zu den Kernproblemen: der Instabilität in der Region, der Palästinenserfrage und der israelischen Besetzung. Es ist Zeit, sich wieder auf das „Land für Frieden“-Konzept zu besinnen und diese Besetzung zu beenden. Das würde der Hamas, Hisbollah und dem iranischen Regime den politischen Wind aus den Segeln nehmen. Alles andere führt zu taktischen Siegen Netanjahus, doch nicht zu einer strategischen Exitstrategie.

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