debatte: Tod des Völkerrechts
Zum Iran-Krieg: Das Völkerrecht ist faktisch davon abhängig, was die Mächtigen wollen. Die Despoten der Welt nehmen die Doppelmoral dankend an
Nach dem Angriff Israels auf den Iran in der Nacht zum 13. Juni 2025 – offiziell mit dem Ziel, den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern – dauern die Kampfhandlungen unvermindert an. Westliche Verbündete Israels, allen voran die USA, verteidigen das Vorgehen als präventive Maßnahme. Die vage Ankündigung Donald Trumps, innerhalb von zwei Wochen eine Entscheidung über ein mögliches militärisches Eingreifen zu treffen, wandelte sich nach gerade einmal zwei Tagen in vollendete Tatsachen um: Auf den Angriffskrieg Israels folgt der völkerrechtswidrige Angriff der USA auf den Iran.
Die Sprache, der sich Trump sowie US-Verteidigungsminister Pete Hegseth bei der Verkündung des Angriffs bedienten, steht dem orwellschen Neusprech und der Propaganda autokratischer Regime in nichts nach: die Glorifizierung der vermeintlichen Genialität Trumps, das iranische Atomprogramm in die Knie zu zwingen – und die Einschwörung auf patriotisches Heldentum.
Jetzt den Iran aufzufordern, den Frieden zu wählen, ist unglaubwürdig. Der Iran hatte mit den USA und Europa einen gültigen Atomvertrag, den Trump während seiner ersten Amtszeit 2018 einseitig aufkündigte und faktisch unbrauchbar machte – torpediert durch die Sanktionsmacht der USA. Dass Israel den Iran mitten in den jüngsten laufenden Verhandlungen mit den USA bombardiert – Gespräche, die im April 2025 unter Vermittlung Omans begonnen hatten und eine mögliche Rückkehr zu einem Atomabkommen zum Ziel hatten – und eine Woche später die USA iranische Atomanlagen angreifen, während noch „deeskalierende“ Gespräche mit Europa laufen, markiert das Ende jeglicher diplomatischen Vernunft. Der anhaltende Versuch europäischer Politik, Teheran doch noch an den Verhandlungstisch zu bringen, mutet wie ein kalkulierter Akt politischer Selbsttäuschung an.
Es spielt keine Rolle mehr, wie sehr der „Wertewesten“ die Angriffe als friedenssichernde Maßnahmen zu deuten versucht. Denn es geht längst nicht mehr nur um den Iran und eine nach wir vor unbewiesene nukleare Bedrohung. Das Signal an die globale Weltordnung ist eindeutig: Entweder man frisst – oder man wird gefressen. Die Diplomatie ist tot, das Völkerrecht ein Papiertiger.
Der Tod des Völkerrechts folgt auf die schon lange kritisierte Schwäche des Völkerrechts. Die UN sind nie über ein Forum hinausgekommen, in dem Augenhöhe und Gehör nur inszeniert werden. Der mit einem Vetorecht ausgestattete UN-Sicherheitsrat ist das institutionalisierte Veto gegen alles, was nicht den Interessen der Mächtigen entspricht. Jede Resolution, jeder Versuch international zu handeln, steht und fällt mit der Einstimmigkeit der fünf ständigen Mitglieder. Nicht nur heute, auch schon 1945 ging es nie um Gleichheit der Staaten, sondern um die Absicherung einer Nachkriegsordnung. Und diese Vetomächte müssen sich bis heute einig sein, wenn überhaupt etwas geschehen soll. Und der Rest der Staatengemeinschaft darf zusehen, wie sich Interessen gegenseitig neutralisieren.
Mina Jawad
ist freie Autorin. Ihre Schwerpunkte liegen in der postkolonialen Analyse in Kunst, Kultur und Gesellschaft.
Die UN kann daher kein Recht durchsetzen, weil sie vom politischen Willen der ständigen Sicherheitsratsmitglieder abhängig ist. Sie konnte seit ihrem Bestehen kaum Kriege verhindern. So steht auch der Internationale Gerichtshof nicht mit besonders viel Glanz da. Was bringen Feststellungen durch ein Gericht, das Jahre braucht, um längst vollendete Tatsachen festzustellen – und dann Recht nicht einmal durchsetzen kann? Das gilt nicht zuletzt für das laufende Verfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Völkermordkonvention durch Israel. Was bringt es den bereits mehr als 50.000 Getöteten in Gaza, wenn am Ende „nur“ massenhaft Kriegsverbrechen festgestellt werden?
Ob Völkermord, Angriffskrieg oder Besatzung – am Ende zählt nicht, was rechtens ist, sondern wer es will. Die Idee des Völkerrechts ist faktisch davon abhängig, dass die Mächtigen mitspielen. Tun sie es nicht, bleibt der Völkerrechtsbruch ohne Konsequenz. Hinzu kommt, dass das andere Organ, der Internationale Strafgerichtshof, fast ausschließlich Despoten aus dem Globalen Süden vor Gericht bringt. Dass Israel empört auf den Haftbefehl gegen Netanjahu reagierte und die „zivilisierten Nationen der Welt“ dazu aufrief, die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs nicht zu vollstrecken, ist nichts anderes als ein deutliches Zeichen der tatsächlichen Verhältnisse – nämlich, dass „westliche“ Akteure grundsätzlich nicht auf die Anklagebank gehören. Und die von Friedrich Merz ausgesprochene Einladung an Netanjahu trotz Haftbefehls reiht sich ein in die Liste der Beispiele, dass das Völkerrecht nur für die Schwachen gilt.
Man darf wohl von niemandem ernsthaft erwarten, in einer Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt, das Schicksal des Schwächeren zu wählen. Wer jetzt schon Atombomben hat, wird sie gewiss nicht hergeben. Wer sie noch nicht hatte oder haben wollte, dem wird man nicht mehr vorwerfen können, danach zu streben. Das gilt eben nicht nur für den Iran, sondern für alle. Besonders im gesamten Globalen Süden.
Es spricht vieles dafür, dass die Äußerungen von Bundeskanzler Merz, der das israelische Vorgehen als notwendige „Drecksarbeit“ für den „Westen“ bezeichnet, keine Entgleisung darstellten, sondern das Fallenlassen der letzten Maske. Der Anspruch moralischer Überlegenheit besteht parallel zur Tatsache, dass Machtpolitik jenseits von Rechtsstaatlichkeit und internationalem Recht schon immer Methode war. Die Despoten der Welt nehmen die Doppelmoral dankend an.
Mit der Verbindlichkeit des Völkerrechts ist es endgültig passé, wenn es einmal mehr von denen untergraben wird, die ständig seine Einhaltung einfordern. Und wer glaubt, dass dieser vermeintliche „Zivilisationskrieg“ auch nur annähernd Frieden und Sicherheit mit sich bringt, verkennt, dass wir spätestens seit heute in einer Welt leben, in der wir alle unsicherer geworden sind.
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