debatte: Gefährliche Engführung
Die Kriegstüchtigkeit wird gern mit der Verteidigung der Demokratie begründet. Doch die wird auch durch Güter wie Bildung und Wohnen verteidigt
Stand und Wert der Demokratie zeigen sich daran, wie und wie oft wir über sie sprechen. Wie verhandeln wir als Gesellschaft dieses System, das uns Teilhabe und Menschenrechte garantieren will? Gerade zeigt sich da eine große Sprachfreudigkeit. Überall ist die Rede davon, dass wir die Demokratie jetzt verteidigen müssen. Diese Fülle an Worten beschränkt sich aber auf einen Aspekt: mehr Geld für die Bundeswehr. Das wird im medialen und politischen Diskurs dafür umso wortreicher umschrieben. In Bundestagsdebatten, Leitartikeln, Talkshows und Podcasts ist die Rede von Kriegstüchtigkeit, Verteidigungsfähigkeit oder Wehrfähigkeit.
In den Mittelpunkt zu rücken, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, ist gut. Darum soll es hier auch nicht um eine Kritik an der Idee gehen, dass auch mit einem stärkeren Militär die Demokratie verteidigt wird. Vielmehr soll es gerade um das „Auch“ gehen. Denn die Sprachfreudigkeit darf nicht bei der Aufrüstung anfangen und enden. Vielmehr muss das Credo, die Demokratie zu verteidigen, gerade jetzt weitergedacht werden. Aus diesem Imperativ muss eine Sprache entstehen, die andere Bereiche unserer Politik und Gesellschaft mit einschließt – sie mehr noch zur Vorbedingung erklärt, damit eine Demokratie überhaupt verteidigenswert wird.
In drei Bereichen zeigt sich das besonders – in der Bildung, in der Wohnungs- und in der Gesundheitspolitik. Unser politisches System ist nicht selbstverständlich. Die Demokratie ist kein in sich kohärentes und logisches Konstrukt, das den Menschen einfach so eingepflanzt ist, sich aus sich selbst heraus erklärt. Es ist kein Naturgesetz – ansonsten müssten wir es ja nicht verteidigen. Demokratie setzt Bildung voraus. Um ihren Wert zu begreifen, aber auch um die Sprache zu lernen, die Teilhabe überhaupt erst möglich macht. Ohne (politische) Bildung kann Demokratie nicht existieren.
Dieser Umstand findet aber zu wenig Raum. Ja, wir reden immer wieder von Brennpunktschulen. Von Orten, an denen Lehrer:innen kaum noch einen funktionierenden Unterricht aufrechterhalten können, mitunter sogar selbst in Gefahr leben. Oder wir sprechen von maroden Gebäuden, und von Kitas, die zeitweise schließen müssen, weil zu wenige Erzieher:innen da sind.
Matthias Kreienbrink
ist Gesellschafts- und Digitaljournalist. Sein Buch „Scham: Wie ein machtvolles Gefühl unser Leben neu prägt“ ist kürzlich erschienen und beschäftigt sich u. a. mit der schambesetzten Sprache in gesellschaftlichen und politischen Diskursen.
Wir sprechen also von den sichtbaren Symptomen eines Bildungssystems, das sich anscheinend selbst nicht mehr bewusst ist, dass in ihm die Grundlage der Demokratie und des demokratischen Zusammenlebens gelegt wird. Geht es ums Geld für die Bildung, spricht die Politik meist von Pflichtstundenzahl, Klassengrößen – und Kürzungen. Überhaupt werden Schule, Kita oder Uni stets in einem diskursiven Rahmen der – mal mehr mal weniger notwendigen – Ausgaben verhandelt – aber nicht der Verteidigung. Weiter geht es mit dem Wohnen. Im Falle einer (konventionellen) Landesverteidigung geht es zuvorderst um den Schutz und die Aufrechterhaltung klar umrissener Grenzen. Die Idee des Nationalstaates basiert darauf: ein Raum mit festen Grenzen. Nur geht es aber nicht nur um Verteidigung der Nation, sondern eben auch der Demokratie – zum Glück! Folgerichtig muss es also auch um den Raum innerhalb dieser Nation gehen und damit um das Wohnen. Wie und wo sich die Bürger:innen innerhalb der Demokratie räumlich situieren können. Von wo aus sie teilhaben können – möglichst sicher und gerecht.
Wir wissen längst, dass das nicht der Fall ist. Vielmehr geht es auch beim Wohnen nicht um eine Verteidigung. Wir sprechen von zu hohen Mieten, von einem freien Markt, von Investoren, die aufkaufen, von zu wenig Neubau, von Wohnungsberechtigungsscheinen. Und von geflüchteten Menschen, die vermeintlich die Wohnungen wegnehmen. Verteidigen müssen wir hier anscheinend nichts. Das Recht auf Wohnen, ein Menschenrecht, ist auch sprachlich eher eine Last. Eine Mühsal, das vor allem jene betrifft, die sich den Wohnraum eben nicht mehr leisten können. Verteidigen wir dann also doch nur Landesgrenzen und nicht das gute Leben und Wohnen innerhalb dieser Grenzen?
Zuletzt unsere Gesundheit. Die Kriegstüchtigkeit wird gern verklärt mit besserer Ausrüstung, neuen Panzern und Flugzeugen. Auch mit IT-Expert:innen, die uns im hybriden Krieg schützen sollen, indem sie auch unsere Infrastruktur verteidigungsfähig machen. Dahinter verschwindet aber diskursiv der Körper – doch der ist es, der im Falle eines Kriegs schlussendlich verletzt oder getötet wird, um eben unsere Demokratie zu verteidigen. Welche Rolle aber spielt der Körper außerhalb davon? Wenn wir gesunde, möglichst fitte soldatische Körper brauchen, sollte dann die Verfasstheit dieses Körpers nicht auch schon davor schützenswert – und grundlegend für die Demokratie sein? Nun wurde das Gesundheitssystem jahrelang mit dem gleichen Adjektiv versehen wie die Bundeswehr: marode. Zur Beseitigung dessen stehen nun theoretisch unbegrenzte Mittel zur Verfügung – allein für die Bundeswehr. Welche gesundheitlichen Folgen aber der Klimawandel haben wird, bleibt dabei zumeist ganz ausgeklammert
Es mag für viele Menschen gerade also nachvollziehbar zynisch klingen, wenn die „Verteidigung der Demokratie“ allein bei der Wehrfähigkeit ins diskursive Schlachtfeld geführt wird. Besonders dann, wenn die Argumente von Kritiker:innen dieser Idee mit Verweis auf ebenjene Landesverteidigung für nichtig erklärt werden. Eine Engführung dieses Verteidigungsbegriffs ist gefährlich. Denn ja, wir müssen allesamt unsere Demokratie schützen. Aber die Wehrfähigkeit sollte die Schlussfolgerung, nicht der Ausgangspunkt der Verteidigungsdebatte sein. Vieles an unserer Demokratie ist schützenswert. So sollte auch darüber gesprochen werden. Denn erst dann wird deutlich, welchen Stellenwert die Bürger:innen in einem Land haben, das verteidigt werden muss.
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