debatte: Antirechts ist nicht genug
Die linke Regierung in Spanien steckt in der Krise. Ihr einziges Argument gegen eine Auflösung: eine rechte Koalition verhindern. Das reicht nicht aus
Damit hatte Spaniens rechte Opposition nicht gerechnet. Seit Jahren stochern die konservative Partido Popular (PP) und die rechtsextreme VOX im Dunkeln, produzieren Falschmeldungen, erstatten damit über befreundete Organisationen Anzeige, finden Richter, die selbst den absurdesten Vorwürfen gegen die regierenden Sozialisten der PSOE unter Pedro Sánchez nachgehen. In der befreundeten Presse jagt eine Schlagzeile die nächste. Nur: Herausgekommen ist außer einem völlig vergifteten politischen Klima nicht viel.
„Lawfare“ nannte die PSOE, was da geschah, und verwies auf eine ähnliche Kampagne unter der PP-Regierung von Mariano Rajoy in den 2010er Jahren – damals gegen die schnell wachsende linksalternative Podemos.
Und jetzt das: Die Sonderermittler der Guardia Civil veröffentlichten Mitte Juni stichhaltige Beweise gegen die Nummer drei der sozialistischen PSOE, Santos Cerdán. Dieser habe mit Hilfe einer dubiosen Gestalt aus dem Umfeld ehemaliger Personenschützer zu Zeiten der Anschläge der baskischen ETA bei öffentlichen Aufträgen die Hand aufgehalten. Kaum wurden die Vorwürfe bekannt, zwang Sánchez Cerdán zum Rücktritt von allen Ämtern in der Partei sowie zu seinem Mandatsverzicht im Parlament.
Dann trat Sánchez vor die Presse und entschuldigte sich gleich mehrfach bei den Bürgerinnen und Bürgern des Landes. Endlich haben die Konservativen der PP das gefunden, wonach sie suchten. Sie fordern lautstark Neuwahlen, Sánchez sei der Chef einer „Mafia“, es gelte die Demokratie zu schützen, erklärt PP-Chef Alberto Núñez Feijóo immer wieder.
Eine größere Katastrophe für Sánchez ist kaum vorstellbar. Er gelangte vor sieben Jahren nach einem Misstrauensvotum gegen den damaligen konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy an die Macht. Kurz zuvor hatte das Oberste Gericht die PP als Organisation systematischer Korruption verurteilt. Über ein Jahrzehnt lang hatte die konservative PP überall im Land genommen, was zu nehmen war, und damit Partei sowie Wahlkämpfe finanziert. Außerdem wurden Parteifunktionäre regelmäßig mit Umschlägen voller Bargeld bedacht. Sánchez gewann das Misstrauensvotum, das er ganz in das Zeichen der Säuberung von Staat und Institutionen stellte.
Und nun diese Katastrophe. Dennoch will Sánchez von Neuwahlen nichts wissen. All das habe mit der Regierung nichts zu tun. Er habe von den Machenschaften Cerdáns und seines Vorgängers José Luis Ábalos keine Ahnung gehabt. Er fühle sich verraten und sei enttäuscht – so wie viele Bürgerinnen und Bürger auch. Sánchez kündigt eine Säuberung der entsprechenden Parteiinstanzen an, und das war’s auch schon.
ReinerWandler geboren 1963, ist Journalist und Fotograf. Er lebt in Madrid und berichtet von dort für die taz über Spanien und Portugal sowie über Nordafrika.
Er wolle bis zum Ende der Legislaturperiode 2027 durchhalten. Eine klare, mehr noch, eine überraschende Ansage für jemanden, dessen Koalition aus PSOE und dem linksalternativen Bündnis Sumar in Minderheit regiert und im Parlament auf ein Sammelsurium aus Unterstützern von links bis hin zum gesamten nationalistischen Spektrum aus dem Baskenland sowie zwei Unabhängigkeitsparteien aus Katalonien angewiesen ist. Sánchez regiert dank dieser Brandmauer gegen VOX – obwohl er bei den Wahlen vor zwei Jahren nur Zweiter hinter PP-Spitzenkandidat Alberto Núñez Feijóo wurde.
„Wir werden das Land nicht an PP und VOX aushändigen“, erklärt Sánchez und beschreibt damit, was ihn an der Macht hält: die Brandmauer gegen rechtsaußen, die Angst vor einer Regierung aus PP und VOX, wie sie in mehreren Regionen bereits Realität ist. Dort zeigen die beiden rechten Parteien, was sie von sozialen Rechten und Minderheitenschutz halten: nichts.
Sánchez’Gegenspieler Feijóo will von einem Misstrauensvotum nichts wissen, obwohl ihn viele aus den eigenen Reihen und vor allem sein möglicher Koalitionspartner VOX dazu drängen. Er weiß, dass er dabei nur verlieren kann – so seltsam das auch klingen mag. Denn Feijóo wäre auf die Stimmen der katalanischen Junts des im Exil lebenden früheren katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont oder auf die der Baskischen Nationalistischen Partei (PNV) angewiesen. Und beides ist nicht einmal in den wildesten Träumen mit VOX vereinbar.
Bei einem Misstrauensvotum würde Feijóo so nur seine eigene Isolierung und vor allem seine Positionierung gemeinsam mit der Ultrarechten offenlegen. Das macht selbst in Zeiten einer angeschlagenen sozialistischen Regierung mehr Angst als Hoffnung.
„Handbuch des Widerstands“ nannte Sánchez seine 2019 erschienene Autobiografie, in der er seinen steinigen politischen Weg nachzeichnet. Er gewann Urwahlen zum PSOE-Chef, trat dann nach Streitigkeiten über den politischen Kurs zurück, gewann erneut Urwahlen, wurde per Misstrauensvotum Regierungschef, ohne überhaupt im Parlament zu sitzen. Seither führt er sein Land durch die Krisen unserer Zeit – von Covid bis zum Ukrainekrieg und dessen wirtschaftliche Folgen. Und er macht es gut: Spanien wächst wie kein anderes Land in der Europäischen Union, die Renten wurden erhöht, der Mindestlohn fast verdoppelt.
Jetzt will der Sozialist Sánchez seinem „Handbuch des Widerstands“ ein weiteres Kapitel hinzufügen, indem er bis 2027 durchhält, um dann – so sein erklärter Wille – erneut anzutreten. Doch allein darauf zu setzen, dass niemand die Gegenseite unterstützen will, reicht dafür nicht aus. Sánchez muss die politische Initiative zurückgewinnen und zeigen, dass seine Partei konsequent gegen jede Form von Korruption in den eigenen Reihen vorgeht. Denn Durchhalten um des Durchhaltens willen könnte das Land in Stagnation und eine zweijährige Dauerkrise stürzen. Damit wäre weder Sánchez noch seinen Sozialisten geholfen – und Spanien schon gar nicht.
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