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debatteDer Weg aus dem Irrsinn

Damit wir zwischen all dem rechten Irrsinn wieder zur Vernunft kommen, braucht es demokratische Atempausen – die richtig genutzt werden

Sie ist nicht totzukriegen, unsere offene oder klammheimliche Hoffnung, dass dieser anschwellende Bocksgesang einer antidemokratischen Rechten inmitten von Demokratien, die recht und schlecht funktionierten, dass diese „crazy right“-Manie, verschärft durch Social Media, rechte Scharlatane und Scharlataninnen, vulgarisiert in der Bromance des reichsten Mannes mit dem mächtigsten Mann der Welt, dass kurzum all das vergehen könne wie eine Unfallverletzung, von der man sich auch wieder erholen wird. Dass man wieder zurückkehren könnte zu Faktentreue, Wissenschaftlichkeit, humanistischer Moral, liberaler Toleranz, rationaler Problemlösung, Vielfalt und Demokratie.

In Robert Misiks letztem Schlagloch wurde am Beispiel der neuen österreichischen Regierung eine solche mögliche Rückkehr zur Besonnenheit, mit „ostentativer zentristischer Vernünftigkeit“, angedeutet; sogar Humor soll eine gewisse Rolle dabei spielen. Ach, Österreich, Land des überzuckerten Selbsthasses!

Ich erinnere mich noch gut an die Berlusconi-Jahre. Wer oder was könnte gegen diesen schmierigen italienischen Rechtspopulisten etwas ausrichten, der als Ministerpräsident sein Land in die mieseste Fernseh-Reality-Show aller Zeiten verwandelte? Auch da war von Besonnenheit, Vernünftigkeit, moralischer Autorität und eben Humor die Rede. Sollte es eine gütige Vaterfigur sein, oder eine junge Frau mit sozialer Verantwortung, oder ein Linkspopulist, der die Tricks of the Trade kennt? Am Ende bekamen wir Matteo Salvini und Giorgia Meloni an der italienischen Regierungsspitze. Und war in den USA nicht der vernünftige und besonnene Joe Biden im Weißen Haus genau die richtige Antwort auf einen Donald Trump? Am Ende war Trump zurück, stärker als zuvor. Kein Kandidat, sondern eine Art dämonischer Messias. Nach einer Umfrage würden die amerikanischen Katholiken, vor die Wahl zwischen Donald Trump und dem Papst gestellt, sich mehrheitlich für Trump entscheiden. Und Bruce Springsteen erklärt, dass er die Hälfte seines Publikums verloren hat, weil er sich gegen Donald Trump stellte.Was tun gegen jemanden – oder etwas –, das stärker ist als der Papst und Rock ’n’ Roll?

Der Traum von einer Rückkehr zur Besonnenheit, zu Vernunft und Moral, und vielleicht auch zum Humor, darf natürlich nicht einfach ins Klo gespült werden, nur weil ein paar alte Säcke wie ich ihren Skeptizismus Gassi führen müssen. Der Pessimismus der Erkenntnis, sagt Antonio Gramsci, darf den Optimismus des Willens nicht beeinträchtigen.

Es kann ja wirklich sein, so wie in Österreich derzeit, dass die demokratische Zivilgesellschaft eine Atempause bekommt. Vielleicht wäre in Deutschland das Verbot der AfD die Grundlage für eine solche Atempause – nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht gehen in den USA die Supernarzissten Musk und Trump früher oder später doch noch aneinander kaputt. Oder eine Phalanx der mutigen Männer und Frauen stellt sich ihnen entgegen. Vielleicht rafft Frankreich sich auf und verhindert Marie Le Pen, vielleicht wird Giorgia Meloni bei der nächsten Wahl in Italien ihr trostloser Kulturgeschmack zum Verhängnis, vielleicht haben die Ungarn auch einmal genug von Viktor Orbán.

Georg Seeßlen

ist freier Autor und hat zahlreiche Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Trump & Co“ beim Bertz Verlag, Januar 2025.

Schlagloch-Vorschau:

28. 5. Charlotte Wiedemann

4. 6. Ilija Trojanov

11. 6.Gilda Sahebi

18. 6.Georg Dietz

25. 6.Robert Misik

Das wären die Atempausen der Demokratie, die so dringend benötigt werden. Denn in all diesen Kulturkämpfen, in den täglichen Angriffen auf die Institutionen der Zivilgesellschaft, auf Wissenschaft, Bildung und Kunst, in den Kaskaden der Nachrichten von neuem Irrsinn und neuer Willkür ist es ja nun wahrlich schwer, nach einem besonnenen auch noch einen großen Gedanken zu fassen.

Aber genau das muss sein. Eine Atempause nützt nichts, wenn man sie nur zum tieferen Luftholen verwendet oder zum eiligen Verbinden einiger Wunden. Man kann nach Polen blicken – oder eben auch nach Österreich –, wenn man verstehen will, welche Arbeit es allein macht, die ärgsten Trümmer rechter Verheerungen beiseite zu räumen. Und noch schwieriger ist es, damit umzugehen, dass ein einfaches Zurück zur Normalität, zurück zu Augenmaß und Vernunft über die besagte Atempause nicht hinausreicht.

Es gibt ja Ursachen für diesen Fieberanfall der westlichen Demokratie und den Siegeszug der verrückten Rechten, die tiefer liegen als das stete Spiel von Radikalisierung und Normalisierung. Etwas verändert sich fundamental und so in alle Lebensbereiche hineinreichend – nicht nur die Politik, auch die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Sprache, die Kultur, die Seelen. Es findet unter unseren Füßen und über unseren Köpfen ein Systemwechsel statt. Die neue Weltordnung, die gerade entsteht oder auch schon wieder zerfällt, findet nicht nur auf Landkarten und Aktienbörsen statt – sie hat auch etwas damit zu tun, wie Menschen miteinander umgehen. Und damit, was man mit seinem Atem anfängt.

In den Kaskaden der Nachrichten von Irrsinn ist es wahrlich schwer, noch einen großen Gedanken zu fassen

So leid’s mir tut: Wenn es hier und dort tatsächlich zu Atempausen für die Demokratie kommen sollte, dürfen die auf gar keinen Fall fürs Ausruhen benutzt werden. Eine der vielen Ursachen für die Bewegung von so vielen Menschen nach rechts war und ist ein Empfinden der Ohnmacht – gegenüber der Welt, aber auch gegenüber den Informationen über sie. Auf die Frage „Was geschieht da eigentlich mit uns?“ haben die demokratische Zivilgesellschaft im Allgemeinen und Linksliberale im Besonderen keine Antwort gehabt. Sie haben sich vor dem Pessimismus der Erkenntnis ebenso gedrückt wie vor dem Optimismus des Willens.

Wenn es eine Atempause der Demokratie gibt, dann sollte man sie nutzen für die Arbeit an einer neuen linken und demokratischen Erzählung der Welt im Zustand einer großen Veränderung. Wenn ihr glaubt, es gäbe Wichtigeres zu tun, dann wundert euch wenigstens nicht, wie schnell solche Atempausen vorbei sein können.

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