Verpasste Themen im Bundestagswahlkampf: Natur hat keine Lobby
Schon der Klimaschutz spielt im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle. Da hat der essentiell wichtige Naturschutz erst recht keine Chance.
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S chwarzspecht, Waldameise, Biber und Bachforelle haben es nicht in den Wahlkampf geschafft. Ihr Lebensraum in Wäldern und Flüssen kommt nur im Wahlprogramm der Grünen vor, doch über die Vielfalt im Unterholz sprechen auch sie nicht. Was auch für ein drolliges Ansinnen, über den Lebensraum von Pflanzen und Tieren zu debattieren, wenn doch niemand über bezahlbaren Wohnraum, öffentlichen Nahverkehr, die Zukunft der Mobilität, Rente, Pflegenotstand und das Klima spricht? Immerhin hat Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck auf den letzten Metern seiner Regierungsverantwortung noch in die letzte Bundestagssitzung dieser Legislatur das Klima eingebracht.
Ansonsten wird vor allem der Mangel an Klimapolitik im Wahlkampf beklagt, so schafft es das Klima wenigstens über seine politische Abwesenheit eine gewisse mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Natur indes nicht. Dabei könnten Parteien Wähler:innen damit gewinnen. 85 Prozent der Erwachsenen finden laut staatlicher Naturbewusstseinsstudie, dass die Erhaltung und Wiederherstellung von Ökosystemen eine vorrangige gesellschaftliche Aufgabe darstellen.
Die meisten Menschen kennen das wunderbare Gefühl, durch den Wald zu gehen, im See zu baden, den Flug der Kraniche zu beobachten. Natur bietet Gefühle, die Parteistrategen nutzen könnten. Und jede Menge Fakten, denn Wälder, Flüsse, Seen, Moore bilden vermutlich die einzigen Chancen für unser Leben in der Erderwärmung. Trinkwasser, staubarme Atemluft und Entspannung von überhitzten Städten findet man nur in der Natur. Gesetze, die diese wissenschaftlichen Fakten umsetzen, gibt es reichlich.
Aber dabei bleibt es dann. SPD, FDP und Grüne vermochten es in drei Jahren ihrer Regierungszeit nicht, das 50 Jahre alte Bundeswaldgesetz ökologischer zu gestalten. Oder die überfällige EU-Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen und dafür zu sorgen, dass mehr Flüsse in einen ökologisch guten Zustand versetzt werden. Die Ampelparteien haben auch nicht ernsthaft die EU-Biodiversitätsstrategie umgesetzt oder ihre selbst gesteckten Ziele der nationalen Biodiversitätsstrategie erreicht. Schon die vorherigen Bundesregierungen wollten zehn Prozent der Wälder nicht länger wirtschaftlich nutzen und zwei Prozent des Landes der Natur als Wildnisflächen überlassen.
1,2 Milliarden Euro für 9.000 Projekte
Alles Theorie. Wer sollte sie auch ins Leben bringen? Die Bundesländer schleifen die unteren Naturschutzbehörden seit Jahrzehnten, dabei sollen sie die Gesetze zum Schutz und Wiederaufbau der Natur umsetzen. Mit etwas Glück harren noch ein paar Mitarbeiter:innen und Beamte kurz vor ihrer Pension in den Amtsstuben und nehmen die Beschwerden von Bürger:innen zu Bauschutt im Wald oder einem planierten Bachbett im Naturschutzgebiet entgegen. Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur werden die hauptamtlichen Naturschützer:innen nicht umsetzen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) lobt ihre Amtszeit gern damit, dass sie 1,2 Milliarden Euro für 9.000 Projekte im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz ausgibt. In Wäldern sollen mit dem Geld mehr Laubbäume finanziert, ein paar Hektar Moor vernässt, Flussauen verbreitert und Seegraswiesen ausgeweitet werden.
Prima, doch es genügt nicht, mehr Geld in einzelne Projekte zu geben und die staatlichen Aufgaben den ehrpusseligen Naturschützer:innen in den Verbänden zu überlassen. In befristeter Zeit sollen unterfinanzierte Projektmitarbeiter:innen mit Teilzeitverträgen der Bundesrepublik Deutschland dabei helfen, internationale Verträge und EU-Gesetze einzuhalten.
Dank dieser Arbeitsteilung dicken die größten ungelösten Probleme am Grund der Seen und an den Ufern der Flüsse ein. Sie sind so mächtig, dass sich keine demokratische Partei von rot über grün bis schwarz daranmacht, eine Lösung anzusprechen. Sie überlassen den Rechten das Feld, die jedoch Umwelt- und Naturschutzverbände bedrohen, diffamieren und Projektgelder streichen wollen. Rechtsextreme in der AfD und die Marktradikalen der FDP können mit der Natur des Lebens nichts anfangen.
In rechter und libertärer Ideologie ist nur die tote Natur gute Natur. Die entwässerte, begradigte, entlaubte Natur beuten die Marktliberalen aus. Die FDP gewährte kürzlich einen Einblick in ihre Pläne für Natur und Umwelt, als sie tönte, nach einem Wahlsieg das „Bundesumweltamt“ abzuschaffen. Sie meinten das Umweltbundesamt und wollen „Kernaufgaben ins Bundesamt für Naturschutz (BfN) integrieren“, wie sie in ihrem Thesenpapier „Der Staat muss schlanker werden“ schreiben. Das BfN soll demnach auch die „Kernaufgaben“ für Strahlenschutz und Risikobewertung übernehmen. Eine derartige Überfrachtung mit Aufgaben schwächt das BfN, das alle verfügbaren Kräfte auf den gesetzlich verordneten und ökologisch gebotenen Naturschutz bündeln sollte.
Wölfe dürfen getötet werden
Die Pläne zur Entrechtung der Natur haben es aus rechter Ideologie in den politischen Mainstream geschafft. Der beginnt gerade bei der geplanten Herabstufung des internationalen Schutzstatus europäischer Wölfe, gegen die sämtliche wissenschaftlichen und ökologischen Fakten sprechen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und eine große Schar europäischer Politiker:innen wie Steffi Lemke und Robert Habeck haben den Wolf auf EU-Ebene herabgesetzt. Im März wollen sie dafür sorgen, dass die Berner Konvention geändert wird und ganze Wolffamilien getötet werden dürfen. Diesen Plan verfolgen Rechte, seit das erste Wolfsrudel vor 25 Jahren in der Lausitz siedelte.
Empfohlener externer Inhalt
Noch können die Demokrat:innen in Europa den Rechtsruck gegen die Natur stoppen. Der rechte Hass auf das Fremde manifestiert sich nicht nur gegen den Wolf, sondern auch gegen Luchs, Fischotter, Braunbären, Mäusebussarde, die eine ökologische Nische im kontrollierten Deutschland suchen.
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