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debatteRechte sind nicht isoliert

An Hanau haben wir alle als Gesellschaft eine Mitschuld. Denn wir haben ein Rassismusproblem. Wir müssen wieder lernen, eine Einheit zu sein

Foto: privat

YasinBaş

ist Politologe, Historiker, Autor, freier Journalist, Übersetzer und Berater. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?”, „nach-richten: Muslime in den Medien” sowie „Muslime in den Medien 2018″.

Nach dem rassistischen und muslimfeindlichen Terroranschlag von Hanau werden die Gründe für diese abscheuliche Tat diskutiert. Dabei rückt die Alternative für Deutschland (AfD) immer mehr in den Fokus: Rufe nach einer konsequenten Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz oder gar ein Verbot stehen im Raum. Doch ist es nicht zu einfach, die Schuld an diesem gesamtgesellschaftlichen Problem des antimuslimischen Rassismus an eine einzige Partei zu delegieren? Seien wir ehrlich: Haben wir alle überhaupt keine Mitschuld daran, dass wir uns jetzt an diesem Tiefpunkt befinden?

Als mitverantwortlich für das Abgleiten in die Radikalität wird oft das Internet genannt. Die terroristischen Netzwerke bilden sich nicht mehr nur auf persönlicher, lokaler Ebene, sondern immer mehr virtuell und global. Die Radikalisierung findet im Schutz vermeintlicher Anonymität im Netz statt. Dort fühlen sich viele Menschen unbeobachtet und damit sicher. Hier können Verschwörungstheorien und Fake News gedeihen und sich gegenseitig befeuern und krude Ideen sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Das Zusammenstellen der eigenen Gedankenwelt und die Suche nach Sündenböcken für empfundene Misere erfolgen hier oft widerspruchslos. Menschen können hier, wenn sie wollen, nach simpelsten Erklärungen für ihre persönlichen Misserfolge oder Verlustängste suchen. In einschlägigen Foren stoßen sie auf Gleichgesinnte und stacheln sich gegenseitig auf.

So sind gut ein Drittel der Teilnehmer*innen der aktuellen „Mitte-Studie“, auf die ich im Folgenden noch näher eingehen werde, anfällig für Verschwörungstheorien und unterstützen zum Beispiel Aussagen wie: „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit.“

Vieles findet also unter dem Radar statt – trotzdem müssen wir – als Gesellschaft und jeder Einzelne von uns – uns auch fragen, wie weit unser persönliches Umfeld von dieser Radikalität, von Rassismus, von Muslimfeindlichkeit, Türken- und Islamhass befallen ist. Forschungen zeigen, dass rechtspopulistische, muslimfeindliche, rassistische und menschenverachtende Gedanken und Überzeugungen immer weitere Teile der gesellschaftlichen Mitte erfassen. Seit dem Jahr 2006 erforschen Wissenschaftler in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in den sogenannten Mitte-Studien, wie weit sich autoritäre, rassistische, rechtspopulistische und rechtsex­treme Einstellungen in Deutschland ausbreiten. Dazu gehören nicht zuletzt die Akzeptanz einer Diktatur, Antisemitismus, Rassismus, die Relativierung des Nationalsozialismus oder die Verachtung von Geflüchteten, Sinti und Roma, Arbeitslosen sowie Obdachlosen.

Bei einer vergleichenden Betrachtung der alle zwei Jahre erstellten Mitte-Studie ist zu konstatieren, dass zwar die rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung zurückgehen, rechtspopulistische und abwertenden Einstellungen gegenüber Muslimen und sogenannten Asylsuchenden in den letzten Jahren jedoch kontinuierlich zugenommen haben.

Die allermeisten von uns zählen sich wohl selbst zu dieser sogenannte Mitte der Gesellschaft – sind wir dann aber nicht gleichfalls von diesen Ansichten und der Geisteshaltung betroffen? Der mutmaßliche Täter von Hanau war ja nicht komplett isoliert. Er war Mitglied in Vereinen und hatte ein großes soziales Umfeld. Diese Verbände, in denen er sich aufhielt, benötigen ebenfalls eine genauere Beobachtung: War Tobias Rathjen in seinem Fußballclub oder im Schützenverein, bei dem er sich engagierte, der Einzige, der antitürkische, rassistische und islamfeindliche Einstellungen besaß?

Der Terror von Hanau zeigt uns deutlich, dass wir viel größere Anstrengungen unternehmen müssen, um unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft zu schützen. Denn ist es nicht möglich, dass auch unter unseren Nachbarn, Vereinskameraden, Arbeitskollegen, Verwandten und Familienmitgliedern islamfeindliche, rassistische, menschenverachtende, antimuslimische, antisemitische, homophobe oder rechtsradikale Einstellungen existieren? Wie weit sind wir selbst und wie weit sind unsere Gedanken von Hass, Angst vor dem Fremden (Xenophobie) und Intoleranz infiziert?

Kennen wir möglicherweise selbst Menschen, die – wie beispielsweise die sogenannten Prepper – von einem Untergang der Ordnung und von chaotischen Zuständen ausgehen und deshalb für diesen angeblichen Tag X Vorkehrungen treffen, indem sie Waffen, Munition, bestimmte Chemikalien und Nahrung horten, um die dann gestürzte staatliche Ordnung selbst in die Hand zu nehmen? Ich hoffe nicht. Fragen wir uns selbst genug, in welche Richtung sich unsere Dorfgemeinschaft, unsere Stadt, unser Bundesland oder Deutschland bewegt?

Fragen wir uns selbst genug, in welche Richtung sich unsere Dorfgemeinschaft, unsere Stadt oder Deutschland bewegt?

Selbst die Vielfalt und interkulturelle Öffnung von Behörden und Unternehmen, von der oft die Rede ist, besitzt Glaubwürdigkeitsdefizite, zumal vor dem Hintergrund von Forschungsergebnissen, die zu Tage fördern, dass Personen mit deutsch klingenden Namen bei gleicher Qualifikation eher zu Bewerbungsgesprächen eingeladen und eingestellt werden als vermeintlich „fremd“ klingende Namen. So zeigt sich erneut, dass ein „Wir“ und „Ihr“ in vielen Köpfen fortbesteht, ja oft gar schon zementiert ist. Ähnliche Defizite und Ausgrenzungen existieren auf dem Wohnungsmarkt. Und wie viele Personen mit Einwanderungsgeschichte sitzen eigentlich auf der Berliner Regierungsbank?

Was wir aus Hanau lernen müssen, ist, eine Einheit zu sein. Eine Einheit gegen Extremismus. Eine Einheit für Respekt, Toleranz, Pluralismus, Demokratie und Freiheit. Das ist das weltoffene Gesicht Deutschlands. Damit muss Deutschland auch in Zukunft strahlen. Hoffentlich kann es das.

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