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debatteSmart City neu denken

70 Jahre nach der Berliner Luftbrücke: Der Tempelhofer Flughafen könnte als Gemeingut zu einem Experimentier-, Forschungs- und Bildungsort werden

Foto: Britta Knabel

Annette Jensen

ist freie Journalistin und Buchautorin in Berlin und engagiert sich in der Bürgerinitiative thf-vision, die das Tempelhofer Flughafengebäude zu einem Commons machen will.

Am Anfang gab es große Zweifel: Würde es gelingen, eine Millionenstadt aus der Luft zu versorgen – womöglich auch noch im Winter mit Heizmaterial? Es gelang. Die mehr als ein Jahr bestehende Berliner Luftbrücke war nicht nur eine enorme logistische Leistung, sondern auch ein Symbol der Menschlichkeit: Die ehemaligen Feinde versorgten die Bevölkerung des besiegten Landes mit allem Überlebensnotwendigen und die Piloten hängten den Kindern auch Süßigkeiten an kleine Fallschirme und eroberten so ihre Herzen.

Berlin beging am Sonntag den 70. Jahrestag wie üblich mit einem Rummel. Doch jenseits von Currywurst und Rosinenbomber-Sentimentalität gehört eine Frage ins Zentrum: Was soll aus dem Tempelhofer Flughafen, dem denkmalgeschützten NS-Bau, werden, der einst das größte Gebäude der Welt war? Seit 2008 ist der Flughafen geschlossen, eine über 50-köpfige Verwaltung müht sich, ab und zu einen Event für die Haupthalle und das Vorfeld zu organisieren. Die meisten der 7.266 Räume werden geheizt – und stehen leer. Der größte Mieter ist die Polizei. Erklärtermaßen will das Land hier einen „Kunst-, Kultur- und Kreativitätsstandort“ errichten – wie, bleibt undiskutiert.

Schicke Bilder bewerben die Herrichtung einer Besucherterrasse neben dem ehemaligen Tower, die nächstes Jahr fertig sein soll und tatsächlich nicht viel größer ist als ein Schrebergartengrundstück. Auch das Alliiertenmuseum und eine Geschichtsgalerie sollen hier untergebracht werden. Doch angesichts von 300.000 Quadratmetern Fläche ist das alles wenig – und schon gar kein Gesamtkonzept für einen hochsymbolischen Bau.

Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag steht, dass das Gebäude gemeinsam mit der Berliner Bevölkerung entwickelt werden soll. Vor einem Jahr startete offiziell ein Partizipationsprozess, doch kaum jemand erfuhr davon. Außerdem war die Fragestellung völlig unklar, das Verfahrens intransparent. Obwohl sich BürgerInnen engagiert und ehrenamtlich ein Dreivierteljahr abmühten, Ideen aus der Stadtbevölkerung einzusammeln, wurde das Beteiligungsverfahren vor Kurzem gestoppt: Der gut bezahlte Dienstleister war ausgestiegen und beschwerte sich über die unklaren Rahmenbedingungen. Nun sollen die Senatoren ihren jeweiligen Raumbedarf im Flughafengebäude anmelden. Die Innenverwaltung will am liebsten alles mit ihren Büros füllen; fantasieloser geht es wirklich nicht. Dazu aber wird es schon deshalb nicht kommen, weil ein Großteil der Räume für eine solche Nutzung ungeeignet sind. Was möglich ist, muss erst erkundet werden. Doch bisher sind nicht einmal den Abgeordneten die Raumpläne zugänglich, obwohl seit einigen Jahren eine digitale Datenbank dazu existiert.

Ohne Zweifel ist das Gebäude voller Tücken: In der NS-Zeit mangelte es aufgrund der Kriegswirtschaft bald nach Baubeginn an Stahl; Pläne über die Statik fehlen. Auch wurden über die Jahrzehnte vielfältige Materialien verbaut, mit denen sich heute Schadstoff-Fachleute beschäftigen müssen.

Klar aber ist: Das denkmalgeschützte Gebäude wird Berlin noch mindestens ein Jahrhundert erhalten bleiben. Wenn es nicht auf Dauer ein teuer beheizter, leerer Klotz bleiben soll, braucht es eine Gesamtvision. Architektur und Luftbrücke machen das Gebäude zu einem starken Symbol: Aus einem Ort der Diktatur und des Rassismus wurde ein Ort der Hilfe und Mitmenschlichkeit. Heute steht die Welt erneut vor einer fundamentalen Transformation. Klimawandel, Spaltung der Gesellschaft, Arten- und Ressourcenschwund erfordern grundlegende Änderungen unserer Lebens- und Versorgungsweise.

Die Industrie preist technische Innovationen an unter dem Schlagwort: „Smart City“. Doch die Probleme lassen sich nicht mit den Konzepten lösen, durch die sie entstanden sind. Und so probieren Menschen vielerorts Aspekte einer enkeltauglichen Wirtschaftsweise aus – in den Bereichen Energie, Ernährung, Mobilität, Produktion, Wasser, aber auch auf sozialer und ökonomischer Ebene. Diese Projekte sind kleinteilig, vielfältig, regional angepasst, meist open source und modular. Was fehlt, sind Orte, wo sich solche Ansätze gegenseitig befruchten und verstärken können, um tatsächlich zu einer transformativen Kraft werden zu können.

Der Tempelhofer Flughafen könnte als Gemeingut zu einem Experimentier-, Forschungs- und Bildungsort werden. Das wäre auch seiner Symbolik angemessen: was hier entwickelt wird, teilt Berlin mit aller Welt. Beispiel Sanierung: Ziel muss es sein, langfristig geringe Verbrauchswerte für Wasser, Strom und Heizung zu erreichen und das Gebäude klimaneutral zu machen. Warum dabei nicht neue Wege gehen? Statt die Aufgaben einzeln auszuschreiben und ein Chaos wie beim BER zu riskieren, könnte der Stadtstaat Eigenbetriebe gründen. Die würden wie frühere Dombauhütten eng zusammenarbeiten, ihr Wissen miteinander teilen und den Schwerpunkt auf Ausbildung legen. Neben zahlreichen Azubis könnten hier auch junge Menschen aus aller Welt die Möglichkeit bekommen, nachhaltige Sanierung zu erlernen.

Das denkmalgeschützte Gebäude wird Berlin noch mindestens ein Jahrhundert erhalten bleiben

Beispiel Ernährung: In einem Gebäudetrakt gibt es fünf Küchen, Kantinenräume, Säle und grüne Hofflächen. Hier könnten Kinder und Eltern kochen lernen, regionale Lebensmittel verarbeitet und vermarktet werden und Wissenschaftler erforschen, wie alle BewohnerInnen Berlins auf Dauer gut essen können, ohne dass es auf Kosten anderer Weltregionen geht. Beispiel Produktion: Wie können Alltagsprodukte so konstruiert und genutzt werden, dass dafür nicht permanent mehr Bodenschätze „verbraucht“ werden.

Eine Brücke in die Zukunft, an der möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten mitarbeiten. Ein solcher Ort wäre sicher auch ein Magnet für innovative Köpfe aus aller Welt. So eine Stadtpolitik wäre wirklich „smart“.

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