daumenkino: „Dracula 2000“
Gothic Girl
Das Begehren kennt keine Orte. Es kennt nur Objekte. Das wissen auch die Studierten des Vampirismus. Vielleicht ist der Fall „Dracula“ gerade deswegen ein so ergiebiges Thema, weil alle grundlegenden psychoanalytischen Verhaltensmuster sich zwar bei Graf Vlad wiederfinden lassen, seine ganz persönliche Leidensgeschichte aber vom bekannten Schema abweicht. Der Pfähler, ein gebrochenes Wesen, kann erst in der Ferne zu sich selbst, seinem Begehren und damit ewiger Ruhe finden; bei Murnau in Bremen, immer wieder London und demnächst sogar auf Helgoland, in „Shadow of the Vampire“, der eigenwilligen „The making of Murnaus Nosferatu“-Adaption von E. Elias Merhige.
Bei Wes Craven nun war es abzusehen, wohin diesmal die Reise führen muss: New Orleans, Melting Pot des Verlangens nach ungezügelter Exotik, schwelender Erotik und ekstatischer Erleuchtung, Sex & Religion. Für das puritanische Amerika des sauberen Safer-Sex-Horrorschocks ist die Stadt immer noch das ultimative Sodom und Gomorrha: Unter der Oberfläche brodelt es. Brodeln tut’s auch unter der Haut von Mary, Typ: kleines, ultrakatholisches Goth-Girl mit Hang zu Marylin-Manson-Videos und Neve-Campbell-verdächtigen Teenage-Angst-Traumata. Sie ahnt, dass es nicht die Pubertät ist, die ihr nächtens zu schaffen macht, sondern ein verbotenes, ganz und gar unchristliches Begehren, das sich zu guter Letzt sogar als inzestuöses herausstellt.
Die im literarischen Original noch unartikulierbaren sexuellen Implikationen müssen in „Wes Craven präsentiert Dracula 2000“ natürlich erschöpfend ausgereizt werden. Denn Objekt des Begehrens sind hier neben dem unschuldigen Mädchenkörper vor allem – ähnlich wie in Alan Gibsons Swingin’-London-Kolportage „Dracula jagt Mini-Mädchen“, die 1974 in die Kinos kam – die kurzen Röckchen des weiblichen College-Ensembles. Bauchfrei muss sein. So werden die Cultural-Studies-Kommilitoninnen aus dem Studiengang zur Teenie-Soap „Buffy the Vampire Slayer“ auch noch mit ins Boot geholt.
Es wäre übertrieben, Regiseur Patrick Lussier deswegen gleich Cleverness unterstellen zu wollen; der Mann hat sich in der Branche vor allem einen Namen als Arbeitsdrohne für Horror-Sequels wie „Scream 2“ und „Scream 3“, „Helloween 7“ und schließlich „God’s Army 3“ gemacht.
Folge seines modernistischen Gewaltaktes ist Draculas Degeneration: Nach seinem x-ten Besuch im Virgin Megastore (sagte ich Productplacement?) kann Graf Vlad den pittoresken MTV-Gothic-Rock-Clips ihren künstlerischen Wert nicht mehr absprechen. Der gute Mann hat allerdings bis dahin auch schon einiges mitgemacht: Seine Leidensgeschichte ist, so erfahren wir endlich, fast 2.000 Jahre alt und begann an der Seite des Menschensohnes. Wirklich: Du denkst, schlimmer geht’s nimmer, und dann bemerkst du, doch, das geht immer. ANDREAS BUSCHE
„Wes Craven präsentiert Dracula 2000“. Regie: Patrick Lussier, mit Jonny Lee Miller, Christopher Plummer, Omar Epps, Justine Waddell u. a. USA 2000, 99 Min.
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