das wird: „Man sollte einigermaßen ausgeschlafen sein“
Warum die Kunsthalle Wilhelmshaven am Samstag zur Nachtwanderung lädt, erklärt ihre Direktorin Petra Stegmann
Interview Alexander Diehl
taz: Frau Stegmann, wie fit sind die Batterien in Ihrer Taschenlampe?
Petra Stegmann: Ich bin noch total unvorbereitet und, ehrlich gesagt, schon ein bisschen nervös, weil das ja doch eine längere Wanderung ist. Ich habe verschiedene Taschenlampen. Wir haben auch in der Kunsthalle einige. Ich überlege aber, mir noch ein etwas solideres Modell zuzulegen.
taz: Was sollte ich tunlichst dabei haben, wenn ich bei Ihnen am Samstag mitwandern möchte?
Stegmann: Auf jeden Fall gute Schuhe. Gute Schuhe, ein bisschen Proviant, auch Regenzeug. Und man sollte, glaube ich, einigermaßen ausgeschlafen sein, weil das schon eine Sechs-Stunden-Aktion sein wird. Und ja: Man sollte guten Mutes sein und nicht zu ängstlich.
taz: Von Wilhelmshaven nach Schortens, bei Dunkelheit und in sechs Stunden – ist das anspruchsvoll?
Stegmann: Nee, eher nicht. Es sind, glaube ich, um die 20 Kilometer. Und das ist kein militärischer Marsch, da sind auch Pausen dabei.
Nachtwanderung von Wilhelmshaven nach Schortens: Sa, 28. 6., 21–3 Uhr, Anmeldung und Informationen: info@kunsthalle-wilhelmshaven.de
Ausstellung „All good things are wild and free. Wandern, pilgern, Spuren finden“: bis 20. 7., Kunsthalle Wilhelmshaven
taz: Die Strecke ist Teil eines eigens für eine laufende Ausstellung angelegten Wanderweges.
Stegmann: Wir haben keine neuen Wege planiert oder so. Das sind Wege, die es schon lange gibt. Für die Ausstellung haben wir einen kleinen Wanderführer veröffentlicht, in dem wir eine bestimmte Strecke vorschlagen. Die ist auch der Künstler Till Gerhard gelaufen und hat fotografiert. Tagsüber kann man sich an bestimmten Stellen eine Art „Pilgerstempel“ abholen und damit die Fotografien vervollständigen. Da ist also auch ein bisschen Gamification mit im Spiel.
taz: Sie haben also nicht physisch einen neuen Weg geschaffen, aber nun einen Wanderweg definiert.
Stegmann: Zum Beispiel wandern wir an Straßen mit unglaublichen Namen vorbei: Man beschreitet den Totenweg, kommt dann vorbei Am Heilig Land. Dann gibt es tatsächlich zwei Höfe, von denen der eine „Hölle“ heißt und der andere „Fegefeuer“. Danach geht es durch Großfrankreich. Tatsächlich läuft man hier viel auf historischen Deichen entlang. Heute befinden die sich im Landesinneren, aber früher war es hier meerumflutet – und in einigen Jahren ist es das dann wieder.
taz: Die Ausstellung, zu deren Begleitprogramm das alles gehört, interessiert sich für „Wandern, pilgern und Spuren finden“. Was macht die wohl älteste Art des Menschen, sich fortzubewegen, zu einem guten Stoff – nicht für ein Sachkundemuseum, sondern für eine Kunsthalle?
Stegmann: Es gibt eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern, die sich als „Walking Artists“ bezeichnen. Die „Walking Art“, wenn man es verkürzt darstellen will, ist eine europäische Antwort auf die amerikanische Land- oder Earth-Art. Während dabei in Amerika zum Teil Krater in Felsformationen gesprengt worden sind, ist die europäische, vor allem von England ausgehende Spielart der Kunst in der Natur etwas subtiler. Es ist nicht Performancekunst im eigentlichen Sinne, denn man „performt“ ja nicht einen Weg. Aber es ist schon Aktionskunst, man ist unterwegs und schafft aus Relikten, die man findet, oder aus Konzepten neue Gedanken, Fotografien oder Kunstwerke. Das ist die eine Perspektive in der Ausstellung.
taz: Klingt, als gäbe es noch eine.
Stegmann: Das sind existenzielle Situationen, in denen das Gehen nicht unbedingt freiwillig stattfindet: Zum Beispiel gibt es eine sehr spannende Videoarbeit von Hiwa K, die heißt „Pre-Image (Blind as the Mother Tongue)“ und ist von 2017, in der er seine Flucht zu Fuß aus dem Irak thematisiert. Und von Markus Schinwald zeigen wir die Videoarbeit „Children’s Crusade“ (2004), in der es um den Kinderkreuzzug von 1212 geht. Da sind der Legende nach Tausende Kinder in ihr Unglück gegangen, indem sie sich ohne Vorbereitung auf den Weg ins „Heilige Land“ gemacht haben, wo sie nie angekommen sind.
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