das wird: „Nachdenklich und assoziativ“
Ein Israeli auf den Spuren der Shoah: In Göttingen ist heute der Essayfilm „Der Rhein fließt ins Mittelmeer“ zu sehen
Interview Wilfried Hippen
taz: Esther Heling-Hitzemann, in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit wird in Göttingen heute „Der Rhein fließt ins Mittelmeer“ vom israelischen Filmemacher Offer Avnon gezeigt. Was verbirgt sich hinter dem sehr schönen Titel?
Esther Heling-Hitzemann: Offer Avon macht sich auf die Suche nach den Spuren der Shoah. Er kommt aus einer Familie von Überlebenden und reist durch Deutschland, Polen und Israel, wo er Erinnerungsbilder von Menschen einfängt. Er versucht so mit der Kamera dem transgenerationalen Trauma auf die Spur zu kommen. Er hat zehn Jahre an diesem Film gearbeitet und hat in dieser Zeit auch in Deutschland gelebt.
Wie sind Sie selbst darauf aufmerksam geworden?
Der Regisseur hat mich angeschrieben. Im Mai gibt es ja eine Reihe von Gedenktagen an die Shoah – und in der Zeit reist er mit seinem Film durch Deutschland.
Durchaus ungewöhnlich, dass ein Filmmacher auf diese Weise mit seiner Arbeit hausieren geht …
Esther Heling-Hitzemann
*1958, hat Theologie und Germanistik auf Lehramt an Gymnasien studiert. Sie ist Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Göttingen.
Ja, aber es ist auch ein sehr persönlicher Film – und ein Einmannprojekt.
Was gefällt Ihnen an dem Film?
Es ist ein sehr poetischer Essayfilm. In einem Essay geht ja jemand seinen Gedanken nach und der Regisseur macht das mit filmischen Mitteln. Mich hat das beeindruckt – aber man muss sich darauf einstellen, dass es ein Film ist, in den man hinein finden muss. Er fesselt nicht mit einer Handlung, sondern ist sehr assoziativ montiert.
Angesichts wirklich vieler konventioneller Dokumentationen, die heute ja möglichst fernsehtauglich gemacht werden, spricht das sehr für Avons Film.
„Der Rhein fließt ins Mittelmeer“
Regie: Offer Avnon,
Israel 2021, 95 Min.
Vorführung: heute, 19.30 Uhr, Lumière-Kino, Göttingen
Ja, und er führt eine andere Tonlage in das Thema ein.
Entstanden ist der Film im Jahr 2021. Heute sieht man ihn wohl mit anderen Augen, Avon behandelt darin ja auch das Verhältnis zwischen Juden und Arabern. War auch das ein Grund, „Der Rhein fließt ins Mittelmeer“ dem Göttinger Publikum vorzustellen?
Ja, ich habe mir gedacht: So einen nachdenklichen Film zu dem Thema würde ich jetzt gerne zeigen. Offer Avnon selbst hat dazu gesagt, er könnte den Film heute nicht mehr so machen – weil ihm die Ruhe fehlen würde, all dem nachzuspüren.
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