das wird: Gute Suppe hebt die Moral
Beim „Hamburger Mittagsgespräch“ mit Hanno Sauer und Bernd Stegemann geht es um Gut und Böse
Ein denkbar großes Thema: Um die Moral geht es beim ersten postpandemischen „Hamburger Mittagsgespräch“ der Evangelischen Akademie der Nordkirche. Genauer soll, tatsächlich um die Mittagszeit und bei wärmender Suppe, gesprochen werden über den „Ursprung und Missbrauch von Gut und Böse“. Was man bemerkenswert relativistisch finden könnte bei so einer Veranstalterin: Gut und Böse sollen also bloße Konzepte sein, des fehlbaren Menschen Werk? Und sich zweckentfremden lassen? What’s next: Religion als Deckmantel für allerschlimmste Taten?
Die beiden Gäste nähern sich dem Gegenstand aus unterschiedlichen Richtungen und mit unterschiedlichem Anspruch: Hanno Sauer, in Utrecht lehrender Philosoph, hat im ausgehenden Jahr ein recht viel beachtetes Buch geschrieben: „Moral. Die Erfindung von Gut und Böse“ (Piper Verlag, 400 S., 26 Euro) ist eine Universalgeschichte all dessen „was uns allen am wichtigsten ist“, so Sauer selbst. Es handelt von „unseren Werten, unseren Normen, davon, wer wir sind und woher wir kommen“. Das Gewordensein der Moral müsse kennen, wer verstehen wolle, wie sie unsere Identität bestimme; das „unsere“ ist dabei durchaus groß gemeint, Sauer setzt zumindest ein universell zu nennendes Gerüst voraus. So viel zum Relativismus.
Mittagsgespräch „Moral“ Ursprung und Missbrauch von Gut und Böse. Di, 12. 12., 12.15 Uhr, Esplanade 14, Hamburg. Achtung: Bei Redaktionsschluss war die Veranstaltung ausgebucht! Infos zur Reihe und ggf. Restkarten online.
In sieben Kapiteln, orientiert an sieben menschheitsgeschichtlichen Zeitpunkten, arbeitet er „besonders fundamentale Transformationen“ unserer „normativen Infrastruktur“ heraus. Beginnend vor 5.000.000 Jahren, endend vor fünf, legt er etwa dar, wie der Mensch die anfangs nur für kleine, verwandtschaftlich begründete Gruppen gedachte Kooperation ausweitete auf (nahezu) alle Angehörigen seiner Art.
Seine anthropologische, auch bei jüngster naturwissenschaftlicher Erkenntnis sich bedienende Perspektive berührt sich da mit der des anderen Mittags-Diskutanten, wo sie die gegenwärtigen Gemengelagen, auch Streitereien ums Moralische erreicht. Irgendwas mit „woken Aktivisten“, das ist ja, wem Bernd Stegemann nun schon mehrere Bücher gewidmet hat: „Moralfalle“ hieß 2018 eins, und zuletzt „Identitätspolitik“ (Matthes & Seitz Berlin, 110 S., 12 Euro). Mit seiner Kritik von links – so mindestens die Behauptung – ist er dabei ja nun alles andere als alleine, aber weiß Gott ist seine Argumentation nicht immer konsistent.
Da will er gegen die jüngsten „woken“ Verirrungen mal einen sehr abstrakt bleibenden Universalismus verteidigen und ruft gleich darauf nach einer nur unter Umständen marxistisch zu nennenden Kritik; einer, die die Arbeiter:innen nicht vermeintlich hochnäsig ignoriere zugunsten irgendwelcher Minderheiten-Interessen. Als wäre ein Primat der Klasse mit dem beanspruchten Universalismus vereinbar, nimmt man die Begriffe ernst. Und waren Horkheimer-Adorno mit ihrer Dialektik der Aufklärung auch schon „woke“ Abweichler? Aber auch für nicht ganz kleine Teile des lesenden oder Talkshows schauenden Publikums scheint Widerspruch nachrangig, wenn es nur gegen das „woke mind virus“ geht – das ist nun nicht O-Ton Stegemann, zumindest noch nicht. Ob zur Suppe hier also mehr Streit gereicht wird oder doch eher Versöhnliches: Viel Stoff zum Sprechen gibt es. Alexander Diehl
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