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das wird„So wichtig wie Humor, Nahrung, Wohnen“

Die Historikerin Anna Hájková über den Wert einer Geschichte der Sexualität des Holocaust

Interview Alexander Diehl

taz: Frau Hájková, warum braucht es mehr Wissen über die „Sexualität des Holocaust“?

Anna Hájková: Die Geschichte der Sexualität zu schreiben, ist in Deutschland vielleicht nicht so verbreitet wie in anderen Ländern. Aber gerade für die Intersektion von Geschichte der Sexualität und jener des Holocausts ist die Lage in mancher Hinsicht schon sehr gut. Sie haben ja in Hamburg Regina Mühlhäuser, die seit 20 Jahren hervorragend über sexuelle und sexualisierte Gewalt arbeitet, das ist Forschung, die gegen große Skepsis passiert ist und auf die ich aufbaue. Aber ich mache auch etwas anderes: Ich schaue mir an, wie Menschen in Zwangssituationen ihre minimalen Spielräume nutzen, um überleben zu können, um an Essen zu kommen, sich zu verstecken. Ich zeige, dass sie Handlungsmacht hatten, agency.

Das wurde nicht immer so gesehen?

Lange Zeit sprach man nicht über Sexualität, sondern über Liebe: Es gab sexuelle Gewalt und romantische Liebe und dazwischen – nichts. Ich möchte zeigen: Dieses Nichts macht 90 Prozent aus, und sehr viel von diesen 90 Prozent ist von sexueller Gewalt geprägt; fast alles, was an zwischenmenschlichen Beziehungen im Holocaust passiert, ist von Gewalt geprägt. Sogar da, wo im Nachhinein eine große Liebesgeschichte erzählt wird, finden wir etwa Tauschbeziehungen. Leute, die sich irgendwo verstecken, können Danke sagen. Aber man sagt eine Woche Danke – und dann? Sexualität ist eine Möglichkeit der Reziprozität, der Wechselseitigkeit, die hohen Wert haben kann.

Eine Art pragmatische Funktion also.

Anna Hájková

*1978, lehrt seit 2013 an der Universität im englischen Warwick.

Warum haben Menschen Sex, auch wenn sie Angst haben oder Hunger? Es ist Vergnügen, es ist Macht-Ausdruck, eine Möglichkeit, an Essen zu kommen: Aber auch eine Möglichkeit, sich zu bestätigen, dass man immer noch über jemanden gebieten kann, oder Ausdruck von Anerkennung. Sexualität ist ein so wichtiger Bestandteil menschlicher Gesellschaft, so wichtig wie Humor, wie Nahrung, wie Wohnen.

Es ist noch nicht lange her, da ist auch hierzulande darüber diskutiert worden, ob es eigentlich queere Opfer der Shoah gab. Oder das gar nicht sein könne – weil die Begrifflichkeiten noch nicht existiert haben.

Wir sagen ja auch Mittelalter, aber die Leute sind im Mittelalter nicht aufgewacht und haben gesagt: „Heute ist ein schöner mittelalterlicher Tag.“ Das Beispiel zeigt, dass wir ständig analytische Begriffe benutzen, die zu dem Zeitpunkt nicht bestanden, für die wir sie anwenden. Ich halte das als Historikerin durchaus für sinnvoll. Analytisch ist „queer“ ein sehr wichtiger Begriff, ein Regenschirm-Begriff, der verschieden Leute umfasst, auch mich selbst: Ich bin lesbisch, so begreife ich mich, das ist meine Identität. Aber halt genauso auch geschlechtsnonkonforme Menschen oder Leute, die gleichgeschlechtlichen Sex haben: „Queer“ versammelt das Ganze.

Und es gab queere Opfer.

Vortrag „Warum wir eine Geschichte der Sexualität des Holocaust brauchen“: Do, 1. 6., 18.30 Uhr, Hamburg, Institut für die Geschichte der deutschen Juden/ Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Beim Schlump 83

Die Teilnahme ist auch online über Zoom möglich: https://t1p.de/ooen1 (Kenncode: 14909175)

Leute wurden aufgrund ihres Queerseins verfolgt, außerdem waren die queeren Erlebnisse für Leute, die aus anderen Gründen verfolgt wurden, sehr wichtig. Sehr oft ist die Verfolgung intersektional, nicht nur für queere Leute. Sagen wir, jemand, der Juden hilft, und verhaftet wird, bekommt oft nur zwei Wochen Haft. Aber die eine queere Frau, über die ich rede, wird nach Auschwitz und Ravensbrück deportiert, weil sie seit Jahren von den Nachbarn denunziert worden ist – weil sie in „Männerkleidung“ herumläuft und kurze Haare hat.

Lässt sich etwas darüber sagen, wie viele Betroffene das sind, also queere Holocaust-Opfer?

Wir wissen es schätzungsweise für Männer, wir wissen es aber nicht für Frauen oder trans Menschen. Und nicht mal die Männer sind so gut erforscht, wie man sich das wünschen würde.

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