piwik no script img

das wird„Von manchen Opfern blieb nur ein Buch“

Provenienzforscherin Wiebke van Deylen über einst „verfemte“ Literatur und NS-Raubgut in der Hamburger Staatsbibliothek

Interview Petra Schellen

taz: Frau von Deylen, welche Rolle haben wissenschaftliche Bibliotheken im NS-Staat gespielt?

Wiebke von Deylen: Einerseits haben sie „verfemte“, also politisch unerwünschte Bücher aus eigenen Beständen sekretiert, das heißt in den „Giftschrank“ gesperrt. Andererseits waren sie Auffangbecken für Bücher, die die öffentlichen Bibliotheken auf Weisung des Regimes anhand „Schwarzer Listen“ an sie überstellten.

Inwiefern?

Es gab zwar die spektakulären Bücherverbrennungen von 1933, initiiert unter anderem von radikalisierten StudentInnen, aber das waren keine Bücher aus wissenschaftlichen Bibliotheken. In ihnen wurden die verfemten Bücher vielmehr aufbewahrt. Anders als in öffentlichen Bibliotheken konnten sie etwa in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek mit „Genehmigung des Direktors“ zumindest pro forma noch benutzt werden.

Welche Bücher wurden überhaupt ausgesondert?

Zunächst betraf es gegen den Nationalsozialismus gerichtete Werke, dann alles, was mit Marxismus, Pazifismus oder anderen als „schädlich“ bewerteten Ideologien assoziiert wurde. Außerdem unterschiedliche Gruppen von Belletristik, darunter viele Werke jüdischer AutorInnen oder sogenannte „Asphalt“-Literatur, liberale Großstadtliteratur wie Erich Kästners „Fabian“.

Was geschah nach 1945 mit den Büchern, die eigentlich aus öffentlichen Leihbüchereien stammten? Hat Ihr Haus Sie zurückgegeben?

Wiebke von Deylen58, Historikerin, ist Leiterin der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut und Fachreferentin für Geschichte an der Staats- und Universitäts­bibliothek.

Soweit wir wissen, blieben die Bücher nach dem Krieg in der Stabi. Allerdings ist der Nachweis oft schwierig, weil während des Zweiten Weltkriegs das damalige Gebäude abbrannte und von 850.000 Bänden etwa 700.000 verloren gingen.

Sie durchforsten Ihre Bestände auch nach NS-Raubgut. Worum geht es da genau?

Beispielsweise um Bücher, die die Gestapo bei Verfolgten beschlagnahmte – Jüdinnen und Juden, politisch Verfolgten und weitere vom NS-Regime Stigmatisierten. Wobei diese Bücher nicht alle zu den „verfemten“ zählten. Das jüdische Bürgertum hatte vielfach Goethe und Schiller im Schrank, „Brisantes“ fand man eher bei SPD- und KPD-Mitgliedern.

Woran erkennen Sie Raubgut im Bestand?

An den Zugangsbüchern, die alle erhalten sind. Dort steht dann „Geschenk der Gestapo“. Anhand der Besitzinformationen in den Büchern versuchen unsere ProvenienzforscherInnen Nachfahren zu ermitteln.

Vortrag „Verfemtes im Giftschrank. Zu Erkenntnissen der Arbeitsstelle NS-Raubgut der Stabi“: Di, 16. 5., 18 Uhr, Hamburg, Staats- und Universitäts­bibliothek

Wie reagieren diese Menschen?

Meist positiv überrascht. Nach so vielen Jahren rechnet niemand mehr damit, und es sind ja oft keine großen materiellen Werte. Der Erinnerungswert ist dafür umso höher. Besonders berührt hat mich eine Familie in den USA, der wir das Buch eines ermordeten Großonkels zurückgaben: Sie hatten nichts von ihm, nicht mal ein Foto. Dies Buch war das einzige, das von ihm geblieben war.

Sie sprechen heute Abend auch über den aktuellen Umgang mit problematischen Beständen. Welche sind denn das?

Grundsätzlich ist die Stabi als Landesbibliothek der Abgabeort für alle in Hamburg erzeugten Druckerzeugnisse, darunter auch Werke, die wir aus Jugendschutzgründen sekretieren. Anders als die niederschwellig zugänglichen öffentlichen Bücherhallen erwerben wir auch umstrittene Literatur wie beispielsweise Publikationen der Neuen Rechten – als Quellenmaterial für die Forschung. Außerdem: Wenn wir es nicht haben, müssen es zehn Forschende einzeln kaufen, und der Autor verkauft sein Buch zehnmal. Wenn die Stabi es zur Verfügung stellt, verkauft er es nur einmal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen