piwik no script img

das wird„Annie Ernaux'Sprache ist so stark, dass man sie nicht bebildern kann“

Im Theater soll „Das Ereignis“ das kollektive Moment des Themas „illegalisierte Abtreibung“ erfassen

Deutsche Erstaufführung: „Das Ereignis“ von Annie Ernaux, Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Rangfoyer, Premiere: 14. 10., 20 Uhr

Interview Matthias Propach

taz: Was hat Sie dazu bewegt, „Das Ereignis“ von Annie Ernaux auf die Bühne zu bringen, Frau Engheben?

Annalisa Engheben: Die Erzählung „Das Ereignis“ handelt von der illegalen Abtreibung einer französischen Studentin in den 1960er-Jahren. Annie Ernaux erschafft mit präziser, schonunsgloser Sprache eine Geschichte, die erschreckend aktuell ist.

Selbst wenn die Geschichte 1963 spielt?

Insbesondere aufgrund aktueller politischer Entwicklungen, in denen es weltweit zu Verschärfungen der Abtreibungsgesetze kommt, sind viele gebärfähige Menschen auch heute davon betroffen. Dieses wichtige Thema, kombiniert mit ihrer Sprache, finde ich spannend. Das war für mich wie ein Magnet. Ihre Sprache ist so pur, dass man sofort eintaucht. Sie erzeugt eine intensive Nähe, erzählt diese privaten und individuellen Sachen so direkt, dass diese zu etwas Politischem werden.

Wie sind Sie bei der Umsetzung dieser Erzählung vorgegangen?

In diesem Fall war natürlich der Text der Ausgangspunkt. Von da habe ich mit meiner Dramaturgin Finnja Denkewitz eine Bühnenfassung geschrieben, in der wir versucht haben, Annie Ernaux’Sprache für die Bühne zu adaptieren. Das bedeutet konkret, dass wir einige Szenen umgeschrieben haben, sodass sie dialogisch sind und man sie spielerischer umsetzen kann. Die erzählerische Sprache haben wir dabei aber kaum verändert.

In „Das Ereignis“ schildert Ernaux konkret und detailliert eine illegale Abtreibung. Wie bringen Sie das auf die Bühne?

Mein Ziel bei der Inszenierung ist es, die Erzählung in ihrer ganzen Intimität zu erzählen. Gleichzeitig soll durch die Ästhetik, den Gestiken der Schauspielerinnen oder den Kostümen eine Abstraktion erzeugt werden, die dem sehr Konkreten der Sprache gegenübersteht. Dadurch möchte ich das kollektive Moment des Themas „illegale Abtreibung“ destillieren, um an etwas Allgemeineres anzuknüpfen, das viele gebärfähige Menschen auf der ganzen Welt auch in der Gegenwart betrifft.

Also verzichten Sie auf drastische Bilder?

Ihre Sprache ist schon so stark mit ihren klaren Beschreibungen, dass man das nicht eins zu eins inszenieren, nicht bebildern kann. Und das ist auch auf jeden Fall eine Herausforderung, Bilder oder Situationen auf der Bühne zu finden, die mit dieser Sprache zusammen wirken können. Das ist natürlich eine Sprache, die eine wahnsinnige Macht hat. Zum Glück!

Annalisa Engheben

Regisseurin, hat Philosophie in Verona und Berlin studiert und ist seit 2020 Regie­assistentin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Abtreibungsverbote sind leider immer noch ein aktuelles Thema. Haben die aktuellen Diskurse Einfluss auf die Umsetzung gehabt?

Wir haben uns sehr bewusst entschieden, die Geschichte zu erzählen, ohne sie zu aktualisieren. Die Erzählung von Annie Ernaux sagt so viel über die heutige Zeit, auch ohne die heutigen Diskurse in der Inszenierung explizit zu benennen. Aber natürlich haben uns die Diskurse sehr beeinflusst, bei den Proben, in unseren Gesprächen mit den Schauspielerinnen, mit dem Team, weil man merkt: Es ist ein aktuelles Topic!

Annie Ernaux wurde jüngst mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Was zeichnet in Ihren Augen Annie Ernaux als Schriftstellerin aus?

Ich finde, dass sie den Nobelpreis verdient hat. Ihre Sprache ist so kompromiss- und schonungslos. Ihr Schreiben selbst ist ein Instrument zur Untersuchung der Gesellschaft. Und gleichzeitig schafft sie etwas Poetisches. Auf der anderen Seite finde ich ihren Mut bewundernswert, inhaltlich über praktisch alles zu schreiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen