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das wird„Viele Hymnen auf den Diktator“

Eine Recherche-Performance zeigt, wie nicht nur Bremen und Hamburg Chile ausgeblutet haben

F: Hilka Baumann/Uni HB

Eva Schöck-Quinteros

Jahrgang 1945, Historikerin, Lehrbeauftragte der Uni Bremen und Leiterin von „Aus den Akten auf die Bühne“.

Interview Jens Fischer

taz: Frau Schöck-Quinteros, Rechtsruck und Krieg in Europa, Klimawandel, Energiekrise etc. fordern uns heraus – aber Sie möchten, dass wir uns mit Chile beschäftigen. Warum?

Eva Schöck-Quinteros: Deutschland, beispielhaft für den globalen Norden, berücksichtigt viel zu wenig, wie stark es vom Rohstoffreichtum des globalen Südens, etwa Chile, abhängig ist. Ohne chilenischen Salpeter als Düngemittel für die Landwirtschaft wären viele Menschen in Deutschland vor 1914 verhungert. Heute sind es Kupfer und Lithium, mit denen Chile uns versorgt. Dieses Wirtschafts- und Entwicklungsmodell prägt seit Beginn des Kolonialismus den globalen Süden. Der gibt seine Rohstoffe her, große internationale Konzerne verdienen an Verkauf und Verarbeitung. Die fertigen Produkte muss beispielsweise Chile wieder importieren. Auf diese Schieflage wollen wir hinweisen. Und darauf, was das für Ar­bei­te­r:in­nen – gerade die Mapuche, die größte indigenen Gruppe – und Umwelt bedeutet.

Bisher kamen in der Veranstaltungsreihe „Aus den Akten auf die Bühne“ vor allem Themen aus Bremen in den Fokus. Welche Beziehungen hat die Stadt zu Chile?

1910 landete Chiles Präsident Pedro Montt per Schiff in Bremen. Er wollte eine Kur in Bad Nauheim machen, starb aber am ersten Abend im Hillmann-Hotel. In den Nachrufen wird nirgendwo das 1907 von Montt befohlene Massaker an streikenden Arbeitern der Salpeterindustrie erwähnt, die gegen brutalste Ausbeutung und katastrophale Lebensbedingungen protestierten.

… dank derer in Hamburg etwa Henry Sloman reich wurde und das Chile-Haus bauen ließ. Wer profitierte in Bremen?

Die Kaufmannsfamilie Gildemeister. Aber noch einen Bezug gibt es. Der Bremer Sänger Theodor Finke, dessen Nachlass wir aufgearbeitet haben, reiste 1977 auf Einladung des rechten „Vereins für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland“ nach Chile und weihte mit Pinochet und Franz-Josef Strauß das Einwandererdenkmal „Unsern Ahnen“ ein. Wieder zurück, schrieb er für Zeitungen viele Lobeshymnen auf den Diktator.

Der Theaterabend fasst Recherchen Ihrer Studierenden zusammen.

Ja, für sie war Chile erst mal Neuland und die Überraschung groß, welche Folgen Neoliberalismus hat, zum Beispiel, dass dort die Wasserversorgung privatisiert ist und in den Händen weniger Großunternehmer liegt. Das heißt, Wasser ist teuer, viele Menschen haben keinen Zugang. Gerade Kleinbauern können es sich nicht leisten, sodass teilweise ihre Tiere verdursten. Aber wir kaufen weiter die viel Wasser verbrauchenden chilenischen Avocados.

Aus den Akten auf die Bühne: „Chile – Auf dem Weg in eine neue Demokratie“, Premiere am Fr, 30. 9., 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz, Bremen

In Chile wurde links gewählt, aber dann die moderne Verfassung abgelehnt. Was ist da los?

Rechte Gruppierungen, von reichen Unternehmern finanziert, machten Propaganda gegen die Verfassung, mit Fake News wurden Ängste geschürt. Aber auch der Verfassungskonvent hat seine Arbeit gerade den Ärmeren schlecht vermittelt und die Enttäuschung über die neue Regierung wächst und wächst.

Die Veranstaltungsreihe ist bislang stets als Lesung, in einer sehr puristischen Form der Wissensvermittlung gestaltet. Wie wäre es mal mit einem vitaleren, performativeren Format?

Dieses Mal will Regisseur Peter Lüchinger es sinnlicher machen. Gerade die Vernetzung der lateinamerikanischen mit der europäischen Rechten wird richtig gruselig zu erleben sein.

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