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das portraitDie saudische Frauenrechtlerin Lujain al-Hathlul steht vor Gericht

Foto: Lujain al-Hathlul/picture alliance

Mutmaßliche Folterer landen vor Gericht, möchte man meinen. Doch so ist es nicht immer. Wenn die Richter eines Spezialgerichts in Riad am Mittwochmorgen ihre Arbeit aufnehmen, sitzen auf der Anklagebank nicht jene, die eine Frauenrechtlerin möglicherweise geschlagen und mit Elektroschocks zwischen den Beinen misshandelt haben. Stattdessen muss sich ebenjene Frau vor den Richtern verantworten: Lujain al-Hathlul.

Kurz vor der historischen Aufhebung des Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien war die heute 29-Jährige im vergangenen Mai mit mehr als einem Dutzend anderer AktivistInnen festgenommen worden. Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Unterstützung von Staatsfeinden wurden ihnen vorgeworfen. Viele von ihnen hatten sich für Frauenrechte und eine Aufhebung des Fahrverbots eingesetzt. Nun beginnt der erste Prozess – an dem auf Terrorismusangelegenheiten spezialisierten Gericht in Riad.

Was nach Angaben enger Angehöriger al-Hathluls seit der Festnahme passiert ist, lässt erschauern: Ihre Eltern hätten al-Hathlul im Dezember im Gefängnis besucht, schrieb ihre Schwester Alia, die in Brüssel lebt, in einem Gastbeitrag für die New York Times. Sie hätten sie auf Berichte über Folter angesprochen, die kurz zuvor die Runde gemacht hatten. „Sie sagte, sie sei in Einzelhaft gehalten, geschlagen und gewaterboardet worden, ihr seien Elektroschocks verpasst worden, sie sei sexuell belästigt und mit Vergewaltigung und Mord bedroht worden.“ Schließlich hätten die Eltern die mit Prellungen übersäten Unterschenkel ihrer Tochter entdeckt. „Es geht darum, sie zu brechen“, fasste Schwester Alia die Misshandlungen in einem SWR-Interview zusammen. Saudische Stellen wiesen die Vorwürfe als „falsch“ zurück.

Seit Jahren hatte sich al-Hathlul für Frauenrechte eingesetzt: gegen häuslichen Missbrauch und gegen das auch im Königreich umstrittene Vormundschaftssystem, in dem Frauen für die alltäglichsten Dinge die Zustimmung ihrer „Vormünder“ brauchen – meist des Ehemanns, Vaters oder sogar Bruders. 2014 saß sie schon einmal zwei Monate im Gefängnis. In einer Aufsehen erregenden Protestaktion hatte sie versucht, im Auto aus den Emiraten über die Grenze nach Saudi-Arabien zu fahren.

Während einige im Königreich die Endzwanzigerin für ihren mutigen Aktivismus feiern, gilt sie Teilen der Gesellschaft als Verräterin. „Kein Platz für die Verräter unter uns“, twitterte ein saudischer News-Account, dem mehr als 11 Millionen NutzerInnen folgen. Über einem Foto al-Hathluls prangte ein roter Stempel: „Verräterin“. Die saudische Tageszeitung al-Dschasira veröffentlichte sogar ein Foto auf der Titelseite und beschuldigte sie des Verrats an der Nation.

Ein Anwalt wird Lujain al-Hathlul nicht begleiten, wenn sie am Mittwoch vor Gericht erscheint. „Ihr wurde kein Anwalt gestattet, noch wurde ihr eine Anklageliste vorgelegt“, ließ ihr Bruder Walid über Twitter wissen.

Jannis Hagmann

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