piwik no script img

das portraitVerblüfft Kritiker und Publikum: Andreas Rötzer ist „Verleger des Jahres“

Andreas Rötzer ist der Verleger, der zunächst Buchhalter war. Wer es weiß, wundert sich nicht. Vom bulligen Patriarchen, den wichtige Verlegerfiguren der Nachkriegszeit wie Siegfried Unseld bei Suhrkamp und Michael Krüger bei Hanser abgaben, hat er buchstäblich nichts. Rötzer ist verlässlich freundlich, bescheiden, ein immer ruhender Pol im immer geschäftigen Literaturbetrieb, einer, der auch dann noch hintergründig auftritt, wenn er im Vordergrund steht.

Das wiederum tut er in den letzten Jahren sehr oft, des irren Erfolgs wegen, den er mit dem Programm seines Verlags hat. Die Kritiker und die Preisjurys der Republik, aber auch die Leser lieben viele der Bücher von Matthes & Seitz. Nach den beiden Gründern benannt, war die Firma seit 1977 ein kleiner, ziemlich theorieversessener und gelegentlich mit dem rechten intellektuellen Rand flirtender Münchner Verlag. Man kannte Matthes & Seitz vor allem wegen der Übersetzungen radikaler und ganz sicher nicht massenkompatibler Franzosen wie Antonin Artaud und Georges Bataille.

Schon nach sechs Jahren stieg Claus Seitz aus, nach 25 Jahren dann auch Axel Matthes. Im Normalfall hätte so ein marginaler Verlag das nicht überlebt. Andreas Rötzer, damals Buchhalter der Firma, hatte aber die Lust und den Mut, das Geschäft zu übernehmen.

Rötzer, 1971 in München geboren, kann nicht nur Buchführung. Er ist auch Doktor der Philosophie und in der Sache durch und durch Überzeugungstäter. Mit dem nun unter dem Namen Matthes & Seitz Berlin firmierenden Verlag sitzt er seit 2004 in der Hauptstadt. Dort hat der Betrieb sich erstaunlich entwickelt: Rötzer führte das intellektuelle Programm seiner Vorgänger durchaus weiter, Artaud und Bataille haben bei ihm noch immer ihr Zuhause. Zugleich macht er zuvor undenkbare Sachen – etwa die erfolgreichste Reihe, die „Naturkunden“ heißt. Darin erscheinen Bände über Krähen und Wölfe und Kröten und Pilze und Federn, Bücher, die immer intelligent und immer gut lesbar am rechten Fleck zwischen Literatur und Wissenschaft stehen. Überdies sind sie sehr schön: Die Herausgeberin der Reihe, Judith Schalansky, hat sie alle bibliophil im besten Sinne gestaltet.

Daneben ist viel Platz, verblüffend viel. Für Theorie, die unter der bezeichnenden Überschrift „Fröhliche Wissenschaft“ steht. Und für Literatur, etwa den Buchpreisträger Frank Witzel. An dessen nachmaligen Bestseller „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ hat sich kein anderer Verlag rangetraut. Nur Andreas Rötzer sagte, wir machen das, und wurde belohnt. Er hat, mit Hilfe der großartigen Übersetzerin Claudia Hamm, Emmanuel Carrère in Deutschland etabliert. Auch der diesjährige Goncourt-Preis-Träger Eric Vuillard erscheint in seinem Verlag. Man kann die Preise längst nicht mehr zählen. Nun ist Rötzer „Verleger des Jahres“. Daran erstaunt höchstens, dass es jetzt erst passiert. Es war höchste Zeit.

Ekkehard Knörer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen