das portrait: Labour-Politiker Carl Sargeant hat nach Sexismusvorwürfen Suizid begangen
Seine Freunde loben ihn als durch und durch integren und aufrichtigen Politiker. Aber seine Labour-Partei in Wales muss nun mit dem Vorwurf leben, einen der ihren in den Suizid getrieben zu haben. Für die britische Öffentlichkeit gilt Carl Sargeant, der sich am Dienstag in seinem Haus im nordwalisischen Connah’s Quay allem Anschein nach das Leben nahm, als erstes Todesopfer der grassierenden Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen Politiker.
Sargeant, geboren 1968, war eine Säule Labours im industriellen, verarmten Nordosten von Wales. Er erlebte als Kind die Schließung des örtlichen Stahlwerks, als 1980 6.500 Menschen über Nacht ihren Job verloren. 2003 wurde er ins walisische Parlament gewählt und ab 2007 war er hintereinander Labour-Fraktionsführer, Sozialminister und ab 2016 Minister für Gemeinschaften und Kinder. Er lebte weiter in seiner Geburtsstadt Connah’s Quay.
Am Freitag vergangener Woche bestellte ihn Wales’Premierminister Carwyn Jones zu sich, entließ ihn als Minister und suspendierte ihn von der Partei. Sargeant erklärte, Jones habe ihm „Vorwürfe über mein persönliches Verhalten“ gemacht, aber keine Details genannt. Sargeant bat um Aufklärung, und als nichts geschah, schaltete er am Montag einen Anwalt ein. Einen Tag später war er tot. Fremdeinwirken schließt die Polizei aus.
Großbritanniens größtes Boulevardblatt The Sun, das vorige Woche bereits Verteidigungsminister Michael Fallon zu Fall brachte, titelte an diesem Mittwoch „Rätsel um ‚Sex-Pest‘-Suizid“ – eine perfide Weise, Nichtwissen in eine Beschuldigung zu packen. Im Schriftverkehr zwischen Sargeants Anwalt und der Labour-Zentrale, den die Regionalzeitung Western Mailam Mittwochnachmittag veröffentlichte, werden Vorwürfe von „unerwünschter Zuwendung, unangemessener Berührung oder Grapschen“ zurückgewiesen und Informationen verlangt – nicht über die Urheberinnen der Vorwürfe, sondern an wen sie sich wann damit wandten.
Der walisische Premier Jones sagte Sargeant nämlich offensichtlich nicht genau, was er über ihn gehört hatte. So hatte der Beschuldigte keine Möglichkeit, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen. Man habe Sargeant „schändlich“ behandelt, sagen Parteifreunde nach seinem Tod. Dawn Butler, Labours Schattenfrauenministerin in London, verlangte sogar eine unabhängige Untersuchung – bis Mittwochnachmittag, als sie plötzlich behauptete, sie sei nach Prüfung des Falles „zufrieden, dass das korrekte Verfahren eingehalten wurde“.
In Wales ist niemand zufrieden. Alle Parlamentssitzungen sind abgesagt. Kabinettskollegin Sophie Howe sagt, sie sei „am Boden zerstört“. Labour in Wales erklärt, es werde keine weiteren Stellungnahmen geben. Im Parlamentsgebäude in Cardiff liegt ein Kondolenzbuch aus. Und landesweit fragen sich Politiker und Journalisten jetzt, ob der Umgang mit Politikern, die des sexuellen Fehlverhaltens beschuldigt wurden, nicht unangemessen ist.
Dominic Johnson
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