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das geheimnis des rock `n` rollvon FLORIAN HARMS

Diese Stiefel! Die sind mindestens 40, 41 Jahre alt. Unten ein Klötzchen, das mal ein Absatz war, oben eine Ahnung von Wildleder, das schon lange nicht mehr wild ist. Der Mann, dessen Füße in diesem antiken Schuhwerk schwitzen, heißt Toni. Weiße Mähne, weißer Bart, Brille für die Augen. Jedes seiner 61 Lebensjahre hat sich in seine Gesichtshaut gerammt.

Als seine Stiefel noch nagelneu glänzten, war Toni Sheridan der „König vom Kiez“: Härtester Rocker Hamburgs, ein Gitarrengott – so göttlich, dass ihm drei Akkorde pro Song locker reichten. Irgendwann waren da diese fünf durchgeknallten Jungs aus Liverpool, die ebenfalls ordentlich Lärm machen konnten. Also wurden sie Tonis Begleitband im Top Ten Club. Die Jungs sind ja später, dann nur noch zu viert, ziemlich abgegangen, „She loves you“ und so. „Hätte ich nie gemacht“, sagt Toni, „das war alles Müll; jedenfalls war`s kein Rock `n` Roll mehr.“ Dann, nachdem er sich die nächste Marlboro angesteckt hat: „Wo, bitte schön, war da noch James Dean?“

Einer der Typen von damals sitzt neben Toni. Er hat noch kein einziges Wort gesagt, was entweder an Tonis Angewohnheit liegen könnte, den Mund nicht mehr zuzumachen, wenn er ihn einmal aufgeklappt hat, oder an dieser einzigartigen Hotelbar, in der wir trinken: So viel Spießigkeit und so wenig Atmosphäre ist tatsächlich einzigartig. Wieso müssen die Sitzkissenbezüge eigentlich mintgrün sein? Toni ordert die nächste Runde und sagt zu mir, ich sähe irisch aus. Ich frage den Mann neben Toni, ob das stimmt, und endlich macht der den Mund drei Millimeter auf: „Ahm“, sagt Pete Best. Vielleicht hat er das ja auch gesagt, als ihm der Manager Brian Epstein mitteilte, dass er nicht mehr Drummer der Beatles sein darf, damals in Hamburg. Pete ist verdammt schüchtern, liebenswürdig schüchtern. Man würde ihn am liebsten sanft über seine graue Sturmtolle streicheln und ihm irgendwas Liebes sagen: „Another beer, Pete?“, zum Beispiel. Pete lächelt.

„Mister Ober, more beer!“, kräht Toni und erklärt dann mal eben in zehn Sätzen die Weltgeschichte, angefangen beim Rocker Jesus bis zur CIA, die nämlich John Lennon auf dem Gewissen hat. Ich frage ihn nach Vietnam, wo er amerikanische GIs mit der Gitarre bei Laune gehalten hat: „War das etwa Rock `n` Roll?“ Toni zückt schnell noch `ne Marlboro, er hat doch damals Songs wie „Let`s go home“ gespielt, murmelt er. Irgendwie scheint das hier die schwärende Wunde in seinem Rockerleben zu sein.

So wie er sich damals von den Amerikanern hat kaufen lassen, so verlässt er heute sein Bauernhaus bei Kiel und stellt sich für ein paar Scheine auf die Bühne in diesem mintgrünen Vorort-Hotel. Und kräht noch mal seinen einzigen Hit ins Mikro: „My Bonnie“. Jauuul macht die Gitarre, krrrchz machen Tonis Stimmbänder. Hinter ihm drischt Pete auf die Trommeln, immer wieder auch korrekt im Takt. Nach dem Gig sitzen wir auf Mintgrün und Toni verrät es mir endlich, das Geheimnis des Rock `n` Roll: „The message is – fuck everything! Und das Beste ist: Es funktioniert!“ Eine Offenbarung. „Ahm“, sagt Pete Best.

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