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das ding, das kommtDes lübischen Postmeisters Weisheit und Rat

Schön wäre die Geschichte vom renitenten Postmeister, der aus Trotz gesagt hat: Nicht mit mir! Nicht solche krummen Dinger! Keine gemischten Zahlen auf meinen Briefmarken, bitte! Das irritiert meinen Ordnungssinn, es stört meine Neurose und es kränkt meine Intelligenz! Ich kann selbst Bruchrechnen! Und dann zur Schere gegriffen hätte.

Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass diese Geschichte sich je ereignet hätte. Aber auch der Beweis des Gegenteils fehlt, so wie jede Überlieferung der Ursache. Es ist unklar, warum und weshalb jener mit schwungvoller Hand 1859 an Herrn Advokat C. Nerger in Malchin aus Lübeck verschickter Brief – Absender unbekannt – nicht mit einer rosigen Zweieinhalb-Schilling-Marke frankiert wurde, sondern mit fünf Sechslingen. Sechsling war, das habe ich gegoogelt, es muss also stimmen, die lübische Bezeichnung für halbe Schillinge.

Jedenfalls: Weil der Amtmann nicht aufs passende Postwertzeichen zurückgegriffen, sondern einen Streifen von fünf dunkellila Halbschilling-Marken sauber aus dem Druckbogen geschnitten und aufs Couvert gepappt hat – das war damals noch eine amtliche Tätigkeit – ist die Ganzsache, die am Samstag im Auktionshaus Heinrich Köhler in Wiesbaden zur Versteigerung kommt, richtig wertvoll. Klar sind alte Lübecker Marken schon für sich immer ein paar Hundert Oschen wert. Aber diese hier wird bei 80.000 Euro aufgerufen. Online mitbieten ist möglich. Wenn Sie selbst keine Verwendung haben: Karitative Organisationen sammeln Briefmarken, so auch Terre des Hommes. Wobei damit eher gemeint ist, das, was in der Alltagspost anfällt, auszureißen und an die von Uwe Diemert betreute TDH-Sammelstelle im Geveker Kamp 38, 30455 Hannover zu schicken.

Die Wertzeichen, die in Wiesbaden versteigert werden, sind auch lokalhistorisch von Rang. Denn tatsächlich gehören die asterfarbenen Halbschilling-Marken zu den ersten Lübecker Briefmarken überhaupt: Hanseaten sind, anders als sie glauben, eher nicht sehr innovationsfreudig. Sie warten ab, bis sich etwas bewährt hat und profitabel ist. Dann greifen sie gediegen zu.

Volle 19 Jahre haben sie in Lübeck und Hamburg gebraucht, um zu kapieren, dass Briefmarken auch den Versand von Rechnungen ermöglichen und erleichtern. Vier Jahre länger als die Bremer, diese Blitzmerker. Vorher haben die tatsächlich alle die Rechnungen unfrei verschickt, also nach dem „Porto zahlt Empfänger“-Prinzip. Rechnungen! Da musst du auch erst mal drauf kommen. Wer zahlt denn dafür, dass er eine Rechnung kriegt?!

Die Briefmarke ist per se ein Ding, das kommt, auch wenn sie selbstverständlich im Schwinden begriffen ist: Der Versandhandel brummt zwar, nutzt aber Frankiermaschinen. E-Mails werden nicht frankiert. Und Dating-Apps oder Online-Partnerbörsen graben den Philatelisten-Zirkeln das Wasser ab. Immerhin: Die jungen Philatelisten Hamburgs sind inzwischen auch auf Facebook, und es gibt ziemlich jedes Jahr neue Posts.

Aber man weiß ja nie: Mittlerweile werden auch wieder mehr Schallplatten verkauft als CDs, und in Bremen hat die Schriftstellerin Betty Kolodzy dazu aufgerufen, ihr Briefe zum Thema Nähe zu schicken, weil gerade wieder Corona ist. Warum sich dafür die Wahl des etwas antiquierten analogen Distanzmediums empfiehlt, das weiß wahrscheinlich nicht einmal der Lübecker Postmeister.

Aber was er uns lehrt: Wenn Sie mitmachen wollen und ans Bremer Literaturkontor, ­Goetheplatz 4, 28203 Bremen mit dem Stichwort „Projekt Nähe“ einen Brief voll naheliegender Gedanken schicken, dann sollten sie ihn mit 16-mal Phlox oder vier Hasenglöckchen aus der Dauerserie Blumen freimachen. Sauber aufgeklebt könnten die den Wert des Beitrags auf lange Sicht ganz unerhört steigern. Benno Schirrmeister

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