das ding, das kommt: Mit Möhren musizieren
Ganz sensibel sind sie, die Diven, mit denen Harald Finke in seiner Künstler-WG in Amelinghausen in der Lüneburger Heide zusammenlebt. Eifersüchtig, wenn gerade eine andere im Mittelpunkt steht. Manchmal ist auch einfach nicht ihr Tag. Und wenn sie vor Publikum stehen oder Elektrosmog ausgesetzt sind, sind sie oft so aufgeregt, dass man gar nichts Vernünftiges mehr mit ihnen anfangen kann.
Denn die 31 Musikerinnen, mit denen der Künstler unter einem Dach lebt, sind allesamt Pflanzen, mit denen der 75-Jährige in einen Dialog tritt, wie er es ausdrückt, indem er der „Pflanzenwelt Zeichenformen des Menschen sozusagen als Fragen oder Antworten gegenübergestellt“. Über eine komplexe Anordnung natürlich, denn was das Grünzeug so von sich gibt, ist ohne Technik gar nicht wahrnehmbar, geschweige denn hörbar: An die Blätter von Azaleen oder Drachenbäumen schließt der Pflanzenmusiker Elektroden an, verbunden mit einem hochohmigen Differenzverstärker, um auch minimalste Spannungsschwankungen zu übersetzen. Dann schickt Finke die Messdaten durch einen Analog-Digital-Wandler und schließlich durch ein spezielles Musikprogramm. Und spielt dazu Didgeridoo oder Klavier.
Klingt ein bisschen nach Esoterik und Baum-Umarmen, gilt aber zum Beispiel im US-amerikanischen Philadelphia seit ein paar Jahren als richtig heißer Scheiß. Eine veritable Do-it-yourself-Biofeedback-Bewegung entwickele sich dort gerade, berichten Joe Patitucci und Alex Tyson vom Künstlerkollektiv und Label Data Garden. Seit drei Jahren vertreiben sie nicht nur pflanzengenerierte Elektronikmusik, sondern auch den Midi-Spross: ein Gerät, mit dem jeder Soundtüftler seine Pflanzen an einen Synthesizer anschließen kann.
Und tatsächlich geht es ja um nicht viel mehr als ein bisschen Hinwendung zu bislang quasi am Wegesrand der Aufmerksamkeit Liegengelassenem. Gemeinsam mit dem Umweltwissenschaftler Mathias Lintl und dem Programmierer Arne Traumüller möchte Finke mit seinem Projekt „Singing Roots/Crystal Sounds“ das „komplexe System Stadt akustisch neu entdecken“ und dabei lernen, dem „Lebewesen Pflanze empathisch und respektvoll gegenüberzutreten“.
Mit Weiden bei Entenwerder hat das Pflanzenmusiktrio schon kommuniziert oder beim Festival „Theater der Welt“ im vergangenen Frühjahr Apfelbaum und Birke Duette spielen lassen. Nun interpretieren Künstler*innen, in einem Garten in Hamburg-Kirchdorf das „Schnarchen der Kastanie“. Und präsentieren noch mal alle bisherigen „Roots Sounds“. (matt)
Sa, 24. 2., 16 Uhr, An der Mühlenwettern 25, Hamburg-Kirchdorf
Infos: www.pflanzenmusik.eu
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