das ding, das kommt: Schwindel erregende Drahtseilakte

Seit rund einer Dekade schon scheitert dieser lokalpolitische Drahtseilakt – dabei wäre doch nicht mal die sprichwörtliche Rede vom Drahtseilakt möglich ohne dieses Ding, um das es sich hier dreht. Dessen, nun ja, Dreh bestand eben darin, dass seine Bestandteile verdreht wurden: Immer noch ziert den Kronenplatz im niedersächsischen Clausthal-Zellerfeld kein Denkmal, das erinnern würde an bedeutende Erfindung, die ebendort im 19. Jahrhundert der hannoverschen Oberbergrat Wilhelm August Julius Albert gemacht hat: das Drahtseil nämlich.
Das sollte eigentlich seit 2009 schon in der Harzer Bergstadt stehen, zum 175. Jubiläum der Albert‘schen Innovation. Einen Designwettbewerb hatte gegeben, dessen Ergebnisse wurden auch in der Sparkassenfiliale in der Robert-Koch-Straße – benannt nach einem noch berühmteren Sohn der Stadt– der Öffentlichkeit präsentiert und schließlich wurde auch ein Gewinner gekürt. Aber dann rissen mit dem Tod von Peter Dietz, einst Rektor der Technischen Universität Clausthal, Leiter des dortigen Instituts für Maschinenwesen und schließlich auch Bürgermeister der Stadt, dessen eigens geknüpfte Kontakte in die Stahlseilindustrie schlicht wieder ab.
Dass dieses Ding einen Ehrenplatz in der Stadt verdient hätte, in der es erfunden wurde, ist offenkundig. Nicht nur rettete es ganz unmittelbar Leben, weil es eben nicht mehr so schnell riss wie die bis dahin im Bergbau verwendeten Hanfseile oder auch Eisenketten. Es ermöglichte auch all die anderen schönen Dinge, die heute an ihm hängen: Fahrstühle, Seilbahnen oder Kräne zum Beispiel.
Und was ließe sich mit einem Denkmal nicht sonst noch so alles Tolles ehren: Dass sich aus altbekannten Materialien Neues machen lässt; dass sich schwächere Elemente zu etwas Stärkerem verbinden lassen, ohne dass die Bestandteile dabei ihre Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit verlieren; und überhaupt – so hoch hinaus wollte einer der Denkmal-Entwürfe: Es könnte den „Moment des Geistesblitzes, die erfinderische Initialzündung feiern, in dem der Funke überspringt, der Groschen gefallen ist, wenn aus zuvor unabhängigen Gedankenfragmenten und Problemstellungen eine neue Idee geboren wird“.
Von solch schwindelerregender Gedankenhöhe aus ist es dann nur ein kurzer Gedankenfunkenübersprung zu jener selbst wiederum auf mehreren Ebenen mit der Materialforschung verknüpften Erfindung, die an diesem Samstagnachmittag im nun der Kultur gewidmeten Kraftwerk Bille in Hamburg erklingt. Dort baut die US-amerikanische Künstlerin Ellen Fullman ihr „Long String Instrument“ auf, bestehend aus 56 zwischen 13 und 30 Meter langen Stahldrähten.
Zwei hölzerne Resonanzkästen an beiden Enden der Saiten und eine Schraubzwinge an jeder Saite verwandeln die Installation in ein rein gestimmtes Instrument, dessen Spielerin sich zwischen zwei parallel aufgespannten Saitengruppen hin- und herbewegt und diese mit ihren mit Bogenharz eingeriebenen Fingerkuppen streicht. Der ganze Raum wird so zum Resonanzkörper – und das Spielen zum, ja, da ist er wieder: Drahtseilakt mit unsicherem Ausgang, sagt Fullman: Mal gelinge es, dann wieder fühle es sich an wie ein Fehler. Robert Matthies
„Hallo Festspiele“ mit Ellen Fullmans „Long String Instrument“ sowie – unter anderem – Viktor Marek, Tout Est Beau, Sven Kacirek, Said sur la place, Pedro Sousa und Patrick Kabré: Sa, 14. 10., ab 15 Uhr, Kraftwerk Bille, Bullerdeich 12–14, Hamburgwww.hallo-festspiele.de/de/program
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen