das csd-tagebuch: Chou Chou de Briquette klebt Plakate
Mit Stoiber gegen Belanglosigkeit
Demo, Dance oder Domäne des Kommerz? Was ist aus dem Christopher Street Day, der jährlichen Demo gegen Diskriminierung der Homosexuellen, geworden? Für die taz schreibt Chou Chou de Briquette, stadtbekannte Szenegröße und Mitorganisatorin der ersten Berliner CSDs, wie es sich anfühlt, wenn Protest immer mehr zur Party wird.
„Mensch, pass doch auf, wo du hinklebst!“ Während Daphne auf den Knien rutschend die Pappschilder mit Sprüchen beklebt, kleistert Bine wie wild die Papierbahnen ein. Morgen werden wir uns an der großen Show der Eitelkeiten beteiligen. Wir, das ist das Organisationsteam von Wigstöckel. Das ist das jährliche Transgender-Festival, das nun schon zum siebten Mal stattfindet. Streng basisdemokratisch, wie wir nun mal sind, fiel die Entscheidung, mit einer Wigstöckel-Fußgruppe an der Ku’damm-Parade teilzunehmen, gegen meinen Einwand. In dieser Masse von partywütigen „Gays“ überhaupt noch für ein ernsthaftes Anliegen Aufmerksamkeit zu finden, ist ja nahezu unmöglich geworden. Das Argument „Aber es macht doch Spaß“ hat mich dann doch dazu bewegt, den anderen ihren Spaß nicht zu verderben. Zumindest werden wir uns auf halber Strecke absetzen und zum Kreuzberger CSD gehen.
Meine erste CSD-Demo, das war 1981 in Darmstadt. Blicke voller Unverständnis und Verachtung. Aber in der Masse, wir waren damals immerhin 400 Demonstranten, waren wir stark genug, das auszuhalten. Das Presseecho war umwerfend: ein Vierzeiler in der lokalen Tageszeitung. Dann 1984, meine erste CSD-Demo in Berlin: Wir sind 4.000 und ziehen vom Savigny- zum Breitenbachplatz. Auch hier keineswegs bejubelt oder beklatscht, trotzdem fühlen wir uns stark und selbstbewusst.
In den Jahren darauf habe ich die CSD-Demos dann sogar mitorganisiert. Gemeinsam mit den Vertretern der Schwulenreferate der Unis, der Aids-Hilfe, der AHA, der HuK und anderer Berliner Schwulengruppen. Unsere CSD-Partys brachten Gewinne zwischen 20.000 und 40.000 Mark, die wir an die einzelnen Gruppen verteilten. Eine wunderbare Solidargemeinschaft. Doch mit der wachsenden Teilnehmerzahl tauchten plötzlich auch Personen in der Organisation auf, die sich bis dahin vornehm zurückgehalten hatten. Jetzt, da die Medien den Demos mehr Aufmerksamkeit schenkten, die Partys eine sichere Einnahmequelle wurden, wollten sie teilhaben an diesem Erfolg. Ich war damals zu naiv, um zu erkennen, mit welchen perfiden Methoden wir, die ursprünglichen Organisatoren, verdrängt wurden. Die Diskussion um Inhalte und politische Forderungen wurde verdrängt von der Devise: „Der CSD muss größer werden.“ Das damit verbundene finanzielle Risiko sollte durch einen neu gegründeten Verein getragen werden. Jahresbeitrag 800 Mark! Für kleine Gruppen und Vereine einfach unerschwinglich. Nach dem Motto: Wer das Risiko trägt, bestimmt auch das Was und das Wo. Forderungen, die den neuen Organisatoren nicht in den Kram passten, wurden schließlich kaltschnäuzig-arrogant übergangen. Ebenso die Vorschläge, den Verlauf der Demo nicht immer entlang des Ku’damms – für die Touristen etwa? – zu planen.
„Kannst du mal weiterkleben?“ Meine Knie tun schon weh! Daphne holt mich mit ihrer Bitte im Befehlston zurück in die Gegenwart. Ich klebe weiter Schilder, deren Forderungen mir angesichts der zu erwartenden überdrehten Masse von Menschen völlig absurd erscheinen. „Abschaffung des Patriarchats!“ Wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. „Kommst du denn jetzt zur Demo?“, fragt Bine und schaut mich dabei mit ihrem Kaninchenblick erwartungsvoll an. Ich antworte nicht, werfe ihr nur einen ratlosen Blick zurück. Vor zehn Jahren habe ich darüber gar nicht nachgedacht. Es war für mich selbstverständlich, am CSD dabei zu sein. Heute frage ich mich, ob ich Teil dieser beliebig-belanglosen Masse sein möchte. „Wir treffen uns um 12 Uhr am Café Kranzler.“ Bevor sie geht, erzählt mir Daphne noch, dass sie auf dem Kreuzberger CSD auftreten will, mit einem Lied, dass sie auf Stoiber umgetextet hat. So schlimm kann’s also gar nicht sein. Ich nehme das Gewese um den CSD wahrscheinlich nur viel zu ernst. „Auf dem Kreuzberger CSD werden wir uns also auf jeden Fall sehen: ‚Bauch rein, Brust raus. Und hoch die Stöckel …‘ “
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