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das Archiv der Pein

von JÜRGEN ROTH

Ich las Frank Schäfers durchwachsenes, passagenweise „veritabel“ (Schäfer) verwachstes Reclam-Buch „Heavy Metal – Geschichten, Bands und Platten“ und wurde an etwas erinnert. Iron Maiden? Judas Priest?

Ich stieg hinab in den Keller. Dort hatte ich sie deponiert und vergessen: etliche Kisten mit Vinyl-„Scheiben“ (Schäfer). Ich schleifte die „Langeisen“ (Schäfer) nach oben und schloss den Philips an.

Die Preisschilder erzählten die gängigen Plattenladengeschichten. Das unter schleppendem Blues segelnde englische Hardrockflaggschiff UFO kam aus dem Fnac in Brüssel, das muskelmeiernde Poserensemble Maiden aus dem Tübinger Rimpo, die keltisch behauchte Ambosscombo Saxon aus einem Geschäft im niederländischen Heerlen. Die Cover? Ein krudes Crossover kartoffelgedruckter Runen, zackiger Signets und klumpiger Phantasien über apokalyptisches Potzblitzgeknatter.

Ich war gespannt, fast ein bisschen nervös. Bilder tauchten auf, Stimmungen kehrten zurück. Billy Squiers simpel stampfendes Led-Zeppelin-Plagiat „Emotions In Motion“ lief während einer Klassenfete. Der Anblick des sadistisch-blutrünstigen 1981er Sabbath-Albums „Mob Rules“ katapultierte mich wieder in jene ekelhaften Fieberträume, die mich plagten, als ich, grippekrank, das brutale Geholze hörte.

Noch hatte ich es nicht gewagt, eines der schwarzen Dinger unter die Nadel zu legen und die Messe zu lesen. Wo beginnen? Mit den ersten Takten war’s vorbei. Ich schämte mich, traute meinen Ohren nicht. Nichts stimmte, nichts passte mehr, die pure tonale Pestilenz quabberte aus den Boxen. Immer hastiger wechselte ich die Kandidaten, immer peinigender holten mich meine frühen Musikjahre ein.

Jugendsünden? Schwerste Geschmacksmissbildungen. Michael Schenker, so eine der rockenden Puschelmähnen, gefiel einst durch „gepflegte“ Harmonien, „einprägsame“ Hooklines, stoisch identische Rappelriffs und vor allem üppige Gitarrensoli. Grazie, Eleganz, Finesse suchte ich vergeblich. Das bist du gewesen?

Die Archäologie in eigener Sache kann eine bittere Angelegenheit sein. Für Sentimentalität bleibt da kein Platz. Wenigstens weiß ich jetzt, dass die Achtziger ohne Abstriche das verwichsteste Jahrzehnt der Neuzeit waren. Es wird entsorgt, erbarmungslos. Die schönsten schlimmsten Dokumente aus meinem Giftverlies banne ich auf DAT, zwecks Warnung und Selbstermahnung. Die Infantilität des Sammlers, die auch Walter Benjamins berühmte Studie nicht kuriert, nötigt zur Umkehr.

Drei Originale aber schleppe ich durch: den Jahrhundertgitarristen Jeff Beck, Frank Marinos LP-Meilenedelstein „Juggernaut“ und Randy Bachmans Ironhorse. Als die Melodie „Sweet Lui-Louise“ unter demRamsch ihr Haupt hob, stopfte ich eine Träne ins Knopfloch und jaulte zum Rest vom Schlachtfest mit Russ Ballard, dem Hohepriester der sog. und schauerlichen „Rockballade“: „I Can’t Hear You No More“.

Und bitte den Frankfurter Flohmarkt demnächst weiträumig umfahren!

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