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danke, lester burnham! von KARL WEGMANN

Das Leben erwacht, der Winterspeck muss sterben – aber sofort und auf der Stelle! Der Frühling ist da und damit die Zeit der Brigitte-Diäten, der unkontrollierten Bewegungen, des massiven Gewichtsverlustes. Ganz normale Menschen tauschen plötzlich die ungarische Salami gegen Hüttenkäse, das Zwiebelbrötchen gegen Knäckebrot und sind ganz scharf auf gedünsteten Fisch ohne alles. Dann geben sie ungefähr zwei Monatsgehälter für Laufschuhe, Designer-Jogging-Klamotten und den neuesten tragbaren MD-Player aus und fangen an, Parks und Grünanlagen zu verstopfen, während ihnen Anne-Sophie Mutter „Die vier Jahreszeiten“ geigt.

Im Winter traf man hier nur diese ausgemergelten Typen, die aussahen, als könnten sie eine warme Hühnersuppe eher vertragen als zehn Kilometer Rennerei. Echte Athleten eben. Jetzt sieht man Leute von nebenan. Die junge Frau in ihrer wunderschönen, weichen Pummeligkeit wäre eine Augenweide, wenn sie bloß nicht mit heraushängender Zunge, klebrigen Haaren und einem sehr bizarren Laufstil die Hunde im Park erschrecken würde. Der Mann mit dem Brauereigeschwür trainiert für seinen ersten Herzinfarkt, hoffnungsloser Fall. Und dann all die jungen Mädchen, die gern eine Junkie-Figur hätten. Sie essen nicht, sie laufen, laufen, laufen sich im wahrsten Sinne den kleinen Arsch ab. Für den Fall, dass sie umkippen, haben sie alle ein Stück Würfelzucker dabei, das bringt sie kurzfristig wieder auf die Beine.

Natürlich sind diese Frühlingssportler äußerst mies gelaunt. Das kommt vom Hungergefühl und vom Muskelkater. Griesgrämige Monster, nur mit Vorsicht zu genießen. Doch in diesem Jahr hat sich einiges geändert. Die Bärbeißigkeit geht leicht zurück, man sieht plötzlich auch lächelnde Jogger. Und wenn man genau hinhört, kommt keine angesagte Klassik, kein Phil Collins aus den Ohrstöpseln, sondern 70er-Jahre-Rock. Was ist passiert?

Ein Film ist passiert, ein Film, den alle schon gesehen haben und den jeder ganz, ganz toll findet. „American Beauty“, der Oscar-Abräumer und sein Star Kevin Spacey alias Lester Burnham haben die leicht Übergewichtigen auch hierzulande zum Umdenken gebracht. Lester Burnham ist zwar auch nur „im Hamsterrädchen seiner Lebensträume“ (Cinema) unterwegs und wird am Schluss abgeknallt, aber er ist dabei bekifft. Das ist zweifellos neu. Das lernt man nicht bei den Leibesübungen in der Schule, das ist strikt gegen die reine Lehre. Rauschgift und Sport sind wie Feuer und Wasser, Gegensätze, unmöglich unter einen Hut zu bringen. Ha! Alles falsch! Lester Burnham macht’s vor. Erst ein kleiner Joint, dann ein bisschen Gewichtheben, klappt ausgezeichnet, kein Problem. Zugedröhnt joggen? Warum nicht, was Lester Burnham kann, können wir auch. Hello Mariejane, bye-bye Rettungsring. Plötzlich macht die Schinderei sogar Spaß. „Du machst dich kaputt, und dein Dealer macht Kasse“, diese Anti-Drogen-Reklame aus den 70ern ist Quatsch. Du machst Bodybuilding, und es tut überhaupt nicht weh, du bekommst einen schönen Körper, und es kostet fast nichts.

Es besteht natürlich immer die Gefahr, dass die Leute irgendwann dahinter kommen, dass Kiffen ohne Sport auch ganz nett ist.

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