crime scene: Zoran Drvenkars Superheldin für Erwachsene
Der als Autor doppeltbegabte Zoran Drvenkar schreibt sowohl Kinder- und Jugendbücher (für die er vielfach ausgezeichnet wurde) als auch knallharte Thriller (die wirklich nur für Erwachsene auszuhalten sind). Nach langer Pause in diesem Genre hat er jetzt einen neuen Roman fertig, auf immerhin knapp 700 Seiten. „Asa“, betitelt nach der Hauptfigur, ist ein echter Pageturner, eine wilde Mischung aus Rachethriller und Familiensaga, die an vielen Orten spielt, doch meistens in einer leicht verfremdeten Uckermark. Hier im Norden Deutschlands wächst die Titelheldin auf, und hierhin kehrt sie zum großen Showdown zurück. Es gibt in der Gegend viel Wald, die Dörfer im Roman haben erfundene, die Städte aber echte Namen; so weit bleibt alles im normalen narrativen Rahmen. Aber sobald es hochdramatisch wird, gehen die Charaktere meist „ins Gebirge“, und spätestens dabei wird klar, dass es einen gewissen Fantasy-Anteil in „Asa“ gibt, denn ein Gebirge findet sich im realen deutschen Nordosten schlicht nirgendwo.
Auch die Rituale, von denen hier erzählt wird, gibt es (hoffentlich) in Wirklichkeit nicht. In der ersten, atemberaubend beklemmenden Szene erleben wir mit, wie die junge Asa, im Teenageralter, unter einer vereisten Wasseroberfläche um ihr Leben kämpft. „Die Prüfung“ wird in den Dörfern ihrer Heimat eine erbarmungslose Verfolgungsjagd genannt, bei der Jugendliche ihre Härte beweisen müssen, während die sie verfolgenden Erwachsenen alles tun, um ihren Kindern das Erreichen eines gesetzten Zieles zu erschweren. Diese „Prüfung“ ist für die Prüflinge lebensgefährlich.
In einer weiteren hochdramatischen Szene entgeht Asa, zehn Jahre später, wieder nur knapp dem Tod. Der Mordanschlag hat ihrem Vater gegolten, der sich dafür eingesetzt hatte, die „Prüfung“ abzuschaffen. Wie all das und noch mehr zusammenhängt, wird sich im Laufe der 700 Seiten allmählich aufklären. Ein großer Teil der Spannung wird dabei von der Erzählstruktur selbst erzeugt, die eine Art narratives Puzzle bildet. Permanent wird zurück-, vor- oder von einer Erzählfigur auf eine andere übergeblendet. Eine lineare Chronologie gibt es nicht, und die zahlreichen Schauplätze der Handlung finden sich über mehrere Kontinente verteilt. Zudem ist der Roman nicht nur multiperspektivisch, sondern wechselt auch auf der grammatikalischen Ebene ständig die Stimme: Alle Asa-Passagen sind in zweiter Person Singular gehalten, einem Lieblingsmodus des Autors (bezeichnenderweise hieß einer seiner früheren Thriller sogar „Du“), zahlreiche andere Passagen werden in dritter Person erzählt; und dann gibt es nicht zuletzt auch ein Erzähler-Ich, dessen Identität erst nach ungefähr der Hälfte des Romans offenbar wird.
So hochkomplex das klingt, fügt sich bei der Lektüre doch alles recht organisch zueinander, was sicher auch daran liegt, dass der Autor, wie er glaubhaft zu versichern pflegt, beim Schreiben ganz dieselbe Entdeckungsreise in seine Geschichten unternimmt wie später die LeserInnen.
Zoran Drvenkar: „Asa“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025,
700 Seiten,
23 Euro
Dass die Hauptfigur weiblich ist, ist für Drvenkars Erzählkosmos eher ungewöhnlich. Ausgebildet als Elite-Kriegerin (bei genauer Betrachtung eigentlich ein logischer Lapsus in der Storyline), stellt Asa eine Art Mittelding zwischen klassischer Rachegöttin und moderner Superheldin dar. Auch in dieser Hauptfigur, die so eindeutig larger than life agiert, findet sich also ein phantastisches Element angelegt – und damit eine unterschwellige popkulturelle Referenz an jene fiktionalen Welten, mit denen viele heutzutage junge Erwachsene groß geworden sind. Wer als Kind einst, vielleicht, Drvenkars „Kurzhosengang“ gelesen hat, kennt mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die meisten „Avengers“-Filme. Aber HeldInnen mit Superkräften können, wie hier bewiesen wurde, auch was für Erwachsene sein. Katharina Granzin
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