piwik no script img

corona in hamburg„Azubis als billige Arbeitskräfte“

Anne Widder, 35, ist Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). in Hamburg.

Interview André Zuschlag

taz: Frau Widder, Sie fürchten um eine „Generation Corona“. Wen meinen Sie damit?

Anne Widder: Einerseits sehen wir die vielen jungen Menschen, die nun ihren Schulabschluss gemacht haben und sich potenziell auf eine Ausbildung bewerben wollen. In Hamburg aber ist, über alle Branchen hinweg, die Zahl der Ausbildungsplätze um 13,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Viele werden keinen Platz finden.

Und andererseits?

Viele Ausbildungsplätze, in denen sich Azubis derzeit befinden, werden wegen Betriebsschließungen vor dem Aus stehen.

Sie vertreten die Beschäftigten im Gastgewerbe – angesichts niedriger Umsätze bei den Hotels und Restaurants dürfte dort die Aussicht auf den Erhalt von Ausbildungsplätzen besonders gering sein, oder?

Detailliert wissen wir es noch nicht, aber sicherlich werden es weniger Plätze als vor der Krise sein. Dabei sollte nicht vergessen werden: Es waren vor allem die Azubis, die in vielen Hotels den Laden in den vergangenen Monaten am Laufen gehalten haben, während die ausgebildeten Beschäftigten in Kurzarbeit geschickt wurden. Mit einer qualitativ guten Ausbildung hatte das aber wenig zu tun.

Dabei ist die Branche ohnehin nicht dafür bekannt, besonders attraktive Ausbildungen anzubieten.

Azubis als billige Arbeitskräfte sind ein branchentypisches Phänomen. Das war auch vor Corona nicht anders. Da nehmen sich Restaurants, Hotels oder Bäckereien insgesamt nicht viel.

Die Abbruchquote dürfte also weiterhin hoch bleiben?

Mein Eindruck ist, dass sich Azubis vorerst zurückhalten werden. Allein schon, weil sie wegen des geringeren Angebots an freien Plätzen nicht so einfach von einem Betrieb zu einem anderen wechseln können. Das war vorher, wenn die Ausbildung in einem Betrieb nicht gut war, eher der Fall.

Noch laufen viele staatliche Hilfsmaßnahmen, und Unternehmen erhalten sogar Geld, wenn sie einen Ausbildungsplatz nicht streichen. Steht die noch größere Krise also erst bevor, sobald die Unterstützung wegfällt?

Es wird wohl noch einmal etwas ganz anderes im nächsten Ausbildungsjahr. Wenn Subventionen und die Kurzarbeitsgelder wegfallen, folgen die Stellenstreichungen. Und damit gehen auch die Ausbildungsplätze einher, die wegfallen werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen