checkliste medizin: Risiken der medikamentösen Nikotinentwöhnung
Zyban
Nach der Lipobay-Affäre ist die Sensibilität größer geworden für die an sich simple Tatsache, dass die Einnahme von Pharmaka nicht ohne Risiko ist. Es häufen sich Meldungen über Todesfälle, die mit der Einnahme von Medikamenten in Zusammenhang stehen könnten. So bestätigte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vor kurzem einen Bild-Bericht, in dem es hieß, dass bisher rund 30 Todesfälle von Leuten registriert worden seien, die unter anderem auch Viagra probiert hatten; und es bestätigte ebenfalls einen Film des ZDF-Magazins „Frontal 21“, dass es vier Todesfälle gebe, die möglicherweise in Verbindung mit der Einnahme des Antirauchermittels Zyban stehen.
Ist Viagra nicht nur Designer-, sondern geradezu ein Ereignismedikament, das hinsichtlich seiner Vorteile und Risiken unter ständiger öffentlicher Beobachtung steht, so ist Zyban ein bislang eher unbekanntes Arzneimittel, das es seit 15 Monaten in Deutschland gibt. Es gehört eigentlich zur Wirkgruppe der Antidepressiva und basiert auf der chemischen Wirksubstanz Bupropion. Zufällig entdeckte man in den USA, dass Raucher, denen Bupropion als Antidepressivum verschrieben wurde, ziemlich spontan aufhörten zu rauchen. Danach entwickelte man das Präparat weiter und ließ es in den USA 1997 erstmals zur medikamentösen Nikotinentwöhnung zu.
Produziert und promotet von der Firma GlaxoSmithKline, wurde Zyban seit seiner Zulassung in Deutschland bislang von rund 310.000 Menschen eingenommen. Die Erfolgsquote liegt nach ersten, kontrollierten Studien bei 30 Prozent der mit Zyban behandelten Raucher, die auch nach einem Jahr abstinent blieben. Die Dauer der Behandlung beträgt bis zu neun Wochen. In der ersten Woche soll man zunächst sechs Tage lang eine Tablette Zyban nehmen (150 mg Bupropion), danach zwei morgens und nachmittags. Schon während der ersten Tage merken Raucher, dass die Zigaretten nicht wie gewohnt schmecken; der erste Tag, an dem sie ganz darauf verzichten, liegt meist in der zweiten Woche.
Der genaue Mechanismus, über den Entwöhnung mit Zyban erreicht wird, ist nicht genau erforscht. Zyban hemmt an neuronalen Synapsen vor allem die selektive Wiederaufnahme von Noradrenalin, in geringem Maß auch die von Dopamin. Damit erklärt man sich, dass die durch den Rauchverzicht induzierten und nikotinbedingten Entzugserscheinungen wie Konzentrationsmängel und Gereiztheit vermindert werden: Zyban imitiert die zentralen Nikotinwirkungen, ohne selbst Nikotin zu enthalten.
Nun ist es auch bei Zyban so, dass die Einnahme nicht ohne Nebenwirkungen vonstatten geht und dass es bei bestimmten Vorerkrankungen oder gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente gar nicht erst eingesetzt werden darf. „Leichtere“ und zum Teil vorübergehende Nebenwirkungen sind: Mundtrockenheit, Benommenheit, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Auch allergische Reaktionen gibt es. Wichtigste Nebenwirkung aber dürfte sein, dass Zyban die Krampfschwelle sinkt und das Risiko für epileptische Krampfanfälle bei 0,1 Prozent liegt – also gerade für Epileptiker und Menschen mit vorangegangenen Schädel-Hirn-Traumen oder Hirntumoren ist Zyban kontraindiziert. Ebenfalls kontraindiziert ist es bei Leberzirrhose, Alkohol- und Benzodiazepinentzug, Bulimie und Magersucht. (Wobei Patienten mit solchen Vorerkrankungen sicher andere Probleme haben, als sich das Rauchen abzugewöhnen.) Der Beipackzettel der Firma GlaxoKlineSmith jedenfalls enthält noch mehr Nebenwirkungen und Kontraindikationen – da kann es zu schwer wiegenden Interaktionen kommen, nicht zuletzt wenn man bedenkt, dass Zyban ein Psychopharmakon ist. So lässt sich wie bei den möglichen Todesfällen durch Viagra nicht genau sagen, ob Zyban der ursächliche Auslöser war: Bei den vier gemeldeten Todesfällen handelte es sich um Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zwei Suizide; in allen Fällen wurde Zyban mit anderen Mitteln eingenommen.
Dazu kommt ein grundsätzliches Problem der Arzneimittelsicherheit: So sagte ein Mitglied der Unternehmensleitung von Boehringer Ingelheim dem Deutschen Ärzteblatt im Zusammenhang mit der Lipobay-Affäre, dass von den 150.000 Nebenwirkungsmeldungen, die im vergangenen Jahr beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingegangen sind, der überwiegende Teil von den Arzneimittelherstellern selbst stamme. Die Arzneimittelkommision der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) dagegen erreichten nach eigener Auskunft pro Jahr gerade mal 2.500 Berichte von Ärzten über unerwünschte Arzneimittelwirkungen, ein Bruchteil der tatsächlich auftretenden Nebenwirkungen, so die AkdÄ. Bei solchen Zahlen und auch der Tatsache, dass Zyban erst kurze Zeit eingesetzt wird, braucht man kein Prophet zu sein, um absehen zu können, dass bei Zyban noch lange nicht alles Gold ist, was glänzt. Zumal bisher niemand weiß, ob die Personengruppe, die nach der Einnahme von Zyban nach einem Jahr nicht rückfällig wurde, auch fünf oder zehn Jahre später von der Zigarette lassen kann. Am besten, man fängt das Rauchen nie an. Oder hört einfach so auf, ohne Hilfsmittel.
GERRIT BARTELS
(wird fortgesetzt)
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