cdu-parteitag: Auf Siegen und Brechen
Ist die CDU erstarkt? 1.001 Delegierte scheinen es zu glauben. Stehend jubelten sie ihrer Vorsitzenden Merkel auf dem Parteitag in Dresden zu, schrien „Angie“ und hielten den rhythmischen Beifall genau sechs Minuten und 28 Sekunden durch, wie „Angies“ Freunde und Feinde mit der Stoppuhr registrierten.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Aber ist es Stärke, wenn die Parteivorsitzende die Ära Kohl beschwört? „Diese 16 Jahre waren und bleiben gute Jahre für unser Land“ – wenn solche Sätze frenetischen Jubel auslösen, dann verabschiedet sich eine Partei. Jedenfalls aus der Gegenwart. Denn offensichtlich hat sie keine Zukunft zu bieten, sondern nur Vergangenheit. Und was für eine. Stichworte: CDU-Spendenaffäre, Vernichtung der Leuna-Akten im Kanzleramt, über vier Millionen Arbeitslose und eine gescheiterte Gesundheitsreform.
Wenn Merkel der rot-grünen Koalition „Schönfärberei“ vorwirft, dann stimmt das. Die Erwerbslosigkeit wird steigen, der Haushalt ist gefährdet; und heute wird der EU-Finanzrat mahnen, dass Deutschland die Stabilitätskriterien von Maastricht gefährden könnte. Die Regierung hat in der Tat „an Schwung verloren“, wie „Angie“ diagnostiziert. Nur hat die Opposition keinen Schwung gewonnen. Jedenfalls nicht inhaltlich.
Das macht auch die Posse um die „neue soziale Marktwirtschaft“ deutlich, ein Schlagwort, das Merkel beharrlich seit einem Jahr propagiert und auch gestern wieder ansprach. Die Parteivorsitzende hat das Problem richtig erkannt: Wie lässt sich „der Widerspruch zwischen Globalisierung und Verwurzelung“ auflösen? Wie können individuelle Sicherheit und ökonomische Flexibilität gleichzeitig möglich sein? Die CDU-Antwort steht bisher aus, wenn man ein paar Phrasen noch nicht für ein Konzept hält. Aber auch ohne näheres Programm reicht schon das ungewohnte Wörtchen „neu“, um Streit in der Union zu provozieren. Was für eine Zumutung für viele Parteimitglieder, dass das Wirtschaftswunder der Vergangenheit nicht reichen könnte. Prompt beteuerte die Vorsitzende aus dem Osten, die „soziale Marktwirtschaft“ und vor allem die „Ära“ Ludwig Erhard weiterhin zu ehren.
Nun könnten die CDU-Ausflüge ins letzte Jahrtausend durchaus amüsieren, wenn diese Scheu vor der Zukunft ein einsames Phänomen wäre. Doch ist die SPD genauso ratlos. Da hat Merkel Recht. Die CDU will bei der nächsten Bundestagwahl „kämpfen“, will „siegen“. Von den anderen Parteien werden wir das auch noch hören. Doch für was?
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