cdu für zuwanderung: Fast schon revolutionär
In nächster Zukunft wird es zu einem grundsätzlichen Perspektivwechsel in der Einwanderungspolitik kommen. Und die Chancen, dass das migrationspolitische Chaos der Vergangenheit einer transparenten Politik weicht, steigen. Denn mit ihrem Kommissionsbericht „Zuwanderung und Integration“ hat die CDU der Regierung signalisiert: In dieser wichtigen Zukunftsaufgabe sind wir zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit.
Kommentarvon EBERHARD SEIDEL
Wer hätte der CDU noch so etwas wie rationale Politik zugetraut? Einer Partei, die sich nicht nur weiter in die Spendenaffäre verstrickt, sondern auch nach zweieinhalb Jahren noch nicht weiß, wie Oppositionspolitik funktioniert? Und deshalb am liebsten die Biografien grüner Spitzenpolitiker debattiert?
Nun hat sich die CDU von alten Gewissheiten verabschiedet. Sie beharrt nicht mehr auf der deutschen Leitkultur, will nicht mehr die Arbeitsmigration mit dem Asyl vermengen. Es klingt fast schon revolutionär, was da in vielen Passagen des Kommissionsberichts steht und zumindest zum Teil Forderungen von Migrantenorganisationen ähnelt. Ist die CDU auf den Weg zurück zur modernen Volkspartei? Und gelingt es ihr, ihr gestörtes Verhältnis zu Wirtschaft und Mittelstand zu verbessern?
Seit Jürgen Rüttgers in der Green-Card-Debatte deutschtümelnde Töne angeschlagen hatte, herrschte Funkstille. Die Bewährungsprobe kommt in den nächsten Wochen. Denn dann muss sich auf sechs Regionalkonferenzen zeigen, ob sich die Basis für diesen Politikwechsel gewinnen lässt: jene Parteimitglieder, die gewohnt sind, dass man das Wort Zuwanderung nur in Verbindung mit Begrenzung, Zwangsmaßnahmen und Rückkehr in den Mund nimmt.
Und die Schwesterpartei, die CSU? In Bayern dürfte so manchem Parteigenossen die Lektüre des CDU-Berichts die Zornesröte ins Gesicht treiben. In einer Woche werden sich Edmund Stoiber und Angela Merkel treffen, um sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Zwar will auch die CSU Einwanderung, aber im Gegensatz zur CDU hält sie in ihrem kürzlich vorgestellten Papier an alter Ideologie fest und beschwört eher die Gefahren der Einwanderung „aus fremden Kulturkreisen“, als dass sie sich Gedanken macht, wie Einwanderung im Interesse der Migranten und der Aufnahmegesellschaft sinnvoll gestaltet werden kann. Erst das Ergebnis der Unions-Gespräche wird klar zeigen, wie es um die Machtverhältnisse und Deutungshoheit in der Union wirklich steht.
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