castor-transporte: Es hat sich nichts geändert
Es ist der größte Castor-Transport aller Zeiten, der gestern vom französischen Plutoniumsupermarkt La Hague nach Gorleben ins so genannte Zwischenlager rollte. Gleich im Dutzend wird diesmal Atommüll ins Wendland gekarrt, und man müsste im Zeitalter von al-Qaida eigentlich sofort hochrechnen, wie viele Hiroshimabomben der Inhalt der zwölf Atommüllsärge hergibt. Aber wir sollten die Leser nicht gleich im ersten Absatz mit Schreckenszahlen quälen.
Kommentarvon MANFRED KRIENER
Man hätte erwarten dürfen, dass auf Trittins große Castor-Offensive auch die größte Krawallaktion aller Zeiten folgt. Doch die Konkursmasse der Anti-Atom-Bewegung hat wenig Unterstützung aus den Metropolen erhalten. Auch die Demonstrationsverbote – zu finsteren CDU-Zeiten nicht üblich – haben die Aufrechten reduziert.
Vor allem aber hat der Glaube an den Ausstieg die Proteste schmelzen lassen wie die Reaktorherzen von Harrisburg und Tschernobyl. Doch gerade jetzt zeigt sich, dass die Kuh noch lange nicht vom Eis ist. Obrigheim heißt der Code, an dem sich die rot-grüne Ausstiegsformel beweisen muss. Während die Castoren im doppelten Sixpack nach Gorleben rollen, verhandelt die Obrigheim-Betreiberfirma EnBW mit dem E.ON-Konzern um zusätzliche Stromkontingente, sprich: Laufzeiten. Die will sie zukaufen, ohne dass die Bundesregierung dies stoppen könnte. Die Tricksereien um den Ausstieg haben gerade erst begonnen. Die Atomindustrie wird alles tun, um das Abschalten auch während der zweiten rot-grünen Legislaturperiode auf ein einziges AKW in Stade zu reduzieren. Um dann nach einem Regierungswechsel ihre neueren Anlagen – wie in den USA – bis zu 60 Jahre laufen zu lassen.
„Was gibt es Schöneres, als wenn man nach jahrelangem Kampf ans Ziel kommt“, ächzt Rezzo Schlauch. Aber Rot-Grün ist noch lange nicht auf der Zielgeraden. Der Ausstieg steht nur auf dem Papier. Erst wenn tatsächlich das Gros der Atomfabriken vom Netz wäre, würden die Proteste in Gorleben an Legitimation verlieren. So lange gilt: In Deutschland schnurren 19 Kraftwerke, die die dümmste Art, Kaffee zu kochen – mittels Spaltung von Urankernen –, täglich neu praktizieren und den Berg von Atommüll verdoppeln. Augstein wurde 79 Jahre alt, das Christentum ist 2.002 Jahre alt, Plutonium verliert nach 24.000 Jahren die Hälfte seiner Strahlung. Wer wird sich dann noch an den rot-grünen Atomausstieg erinnern? Es hat sich nichts geändert.
wirtschaft & umwelt SEITE 9
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