busenkrank:
von HEIKE RUNGE
Seit im Fernsehen praktisch jeder für einen Nachmittag genommen wird, sieht man in den Studios immer häufiger Leute herumhocken, die man aus dem echten Leben kennt. Es ist genau so, wie John Wayne gesagt hat: Man muss nur lange genug am Ufer des Flusses sitzen, dann sieht man irgendwann die Leiche seines Feindes vorbeischwimmen.
Neulich erkannte ich in einer Talkshow zum Thema Brust-OP eine ehemalige Mitschülerin. Das Aufsatzthema lautete: Warum die neue Brust mein Leben verändert hat. Neben den Brustoperierten kriegte sich ein Pärchen in die Wolle, das den großen Einschnitt noch vor sich hat. Die Frau wollte an der Brust was machen lassen, aber der Freund meinte, das sei überhaupt nicht nötig, außerdem liebe er sie auch so. Dann nahm neben ihm ein minderjähriges Dessous-Model Platz, und der Mann wurde gefragt, ob der Oberkörper der fremden Frau eventuell attraktiver wirke als der seiner Freundin. Er erklärte, dass er den Busen der Dame ganz schön findet, aber das war nicht die Frage gewesen, und als die Moderatorin insistierte, antwortete er, „ja, schon“, und die Katastrophe war perfekt.
Busenkrank! Als sich die Schülerinnen eines Mädchengymnasiums das Wort Anfang der Achtzigerjahre ausdachten, war noch gar nicht abzusehen, dass damit praktisch schon die Signatur für das heraufziehende neue Jahrtausend gefunden war. Bei unserer Diagnose hatten wir noch nicht das busenkranke 21. Jahrhundert im Sinn, sondern unsere Mitschülerin Birgit. Busenkrank waren nach unserer Definition Mädchen und Frauen, deren ganzes Glück und Unglück von diesem einen Körperteil abhingen. Im Fall von Birgit war es das reine Unglück, denn Birgit fand, dass ihr Busen Scheiße war.
Zwar waren damals alle mit ihrem Busen mehr oder weniger ausführlich beschäftigt, aber zwischendurch hatte man auch noch anderes zu tun, musste ins Schwimmbad oder in die Disco rennen. Birgit dagegen ging nirgendwohin, sondern verbrachte ihre gesamte Jugend in einem Zelt. Es war das gleiche Zelt, das die „El Condor Pasa“ spielenden Bambusflötisten aus Peru in der Fußgängerzone immer trugen: bunt, befranst und aus fettiger Schurwolle. Mit Sicherheit gab es ein paar Situationen, in denen selbst die Mitglieder der Combo ihren Poncho verließen, Birgit dagegen schlüpfte niemals aus ihrem Zelt. Nicht an hitzefrei-verdächtigen Tagen, nicht beim Völkerball und auch nicht bei der Übernachtung in der Jugendherberge. Obwohl die Raumtemperatur unter dem Umhang schätzungsweise 35 Grad betragen haben muss. Sie roch streng und war der unzufriedenste Mensch, den wir kannten. Und das einzige weibliche Wesen in unserem Alter, das regelmäßig die Praline las.
Nach dem Abi tauchte sie ab und Poncho-frei bei den Brustoperierten wieder auf. Sie dankte dem Chirurgen und beschuldigte ihre Umwelt – also uns! –, ihr Problem nicht ernst genommen zu haben. Die OP aber habe aus ihr einen neuen Menschen gemacht. Am Ende sagte sie noch den schönen Satz: „Ich habe zwei Brüste, aber nur ein Leben.“
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