bücher für randgruppen: Auch die Vulkanologie entzieht sich nicht dem Trend zur interdisziplinären Vernetzung der Wissenschaften
Unsere innerlich kochende Erde
Vor einige Monaten forderte die italienische Tageszeitung Il Mattino: „Tedeschi, dateci due milliardi“ – Deutsche, gebt uns zwei Milliarden. Grund: Die Bild-Zeitung hatte vor einem bevorstehenden Ausbruch des Vesuv gewarnt. Etliche Reisen wurden storniert, Restaurants und Hotels vermeldeten Umsatzeinbußen. Hätten die Stornierenden vorher das Buch „Vulkanismus“ des Vulkanologen Hans-Ulrich Schmincke gelesen, dann wüssten sie, dass ein Vesuvausbruch durchschnittlich alle 60 bis 70 Jahre zu erwarten ist.
Das Nah-ans-Feuer-Gehen, wie es der Wissenschaftler mit gelbem Sicherheitshelm auf dem Cover des Buchs zu tun pflegt, illustriert die Gefahren der entfesselten Gewalt unser innerlich kochenden Erde. Geduckt hinter einem schützenden Stein, so als ob er nicht entdeckt werden möchte, beobachtet ein unbekannter Vulkanologe 1969 die Lavafontänen des Mauna Ulu auf Hawaii. Solche und andere Eindrücke fließen in das vorliegende Werk ein, das sich an alle Vulkanfreunde wendet, die etwas Vorbildung mitbringen.
Eine besonders interessante Abbildung ist der Vulkaninsel Island gewidmet, nämlich ein tomografischer Einblick in die partiell aufgeschmolzenen Mantelbereiche unter der Insel. Der Mount Mayon auf den Philippinen mit seinem moosbewachsenen Kegel sieht fast so aus wie dieser isländische Kegelvulkan in Landmannalaugur; die Vulkantypen auf der Welt sind halt alle miteinander verwandt.
Die Vulkanologie entzieht sich nicht der allgemein fortschreitenden interdisziplinären Vernetzung in der Wissenschaft. Einwirkungen des Klimas, der Ozonschicht und die Erforschung der Naturgefahren, ja auch der Bereich einer experimentellen Vulkanologie werden angesprochen. Angesichts immer größerer Spezialisierung stellt der Autor sein angenehm persönliches, durchaus mit ironischen Einsprengseln versehenes Werk als mögliche Ergänzung zum klassischen Lehrbuch vor. Gelegentlich strahlt angenehme Fröhlichkeit hervor. Die Ansichtskarte mit dem über eine geteerte Straße führenden Lavastrom und dem Hinweisschild „Bitte Geschwindigkeit drosseln“ ist eine der vielen hübschen Illustrationen.
Dass Alfred Wegeners 1912 entwickelte Theorie der wandernden Kontinente, bekannt unter dem Begriff der Kontinentalverschiebung, bis in die 60er-Jahre von der Fachwelt einhellig bekämpft wurde, zeigt, wie dogmatisch die Wissenschaft ist. Was wir schließlich lernen, ist, dass ein erneuter Ausbruch des vor etwa 12.900 Jahren eruptierten Laacher-See-Vulkans in der Eifel durchaus nicht unwahrscheinlich ist. Ja, hätte ein Paläo-Rheinländer vor 13.000 Jahren behauptet, in der nahen Zukunft seien weitere Ausbrüche zu erwarten, wäre er nach Ansicht von Schmincke von seinen Hordengefährten als Hysteriker bezeichnet und mit einer Basaltsäule um den Hals im Rhein ertränkt worden.
WOLFGANG MÜLLER
Hans-Ulrich Schmincke: „Vulkanismus“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2001, 264 Seiten, 29,90 €
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